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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Die Ärzte dort sind an solche Fälle gewöhnt: Es kommt offenbar immer wieder vor, daß Jäger sich mit der eigenen Waffe verletzen oder versehentlich jemanden anschießen.« Als sie nach einer Pause ein leises »die Ärmsten« hinterherschickte, klang das so aufrichtig und mitfühlend, daß der Commissario sich seiner schadenfrohen, lästerlichen Dialoge mit Signorina Elettra schämte.
    »Hat man Sie im Krankenhaus gefragt, wie es zu Ihrer Verletzung kam, Signora?«
    »Nein. Die Männer, die mich hinbrachten, haben auch die Formalitäten erledigt. Ich brauchte, als ich aus der Ambulanz kam, nur noch zu unterschreiben.«
    »Daß es ein Unfall war?«
    »Ja«, bestätigte sie lapidar.
    »Und glauben Sie das wirklich?« fragte er.
    Wieder ließ sie sich mit der Antwort lange Zeit. »Zuerst gab es für mich keine andere Erklärung. Aber später habe ich mich doch gefragt, warum der Schütze nicht aufgetaucht ist. Wäre es eine Verwechslung gewesen und er hätte mich für ein Wild gehalten, dann wäre er doch gekommen, um sich seine Beute zu holen, oder?«
    Das war genau die Frage, die Brunetti umtrieb, seit er von dem sogenannten Jagdunfall erfahren hatte, »Spätestens als die Hunde anschlugen, hätte er sich doch rühren müssen, schon aus Angst, daß ein anderer ihm seine Beute streitig machen könnte.« Sie schwieg gedankenverloren und setzte dann hinzu: »Aber das ist mir, wie gesagt, alles erst später aufgefallen.«
    »Und wie denken Sie jetzt darüber?«
    Sie setzte zu einer Antwort an, stockte und sagte endlich: »Ich möchte nicht melodramatisch erscheinen, Commissario, aber im Moment habe ich ganz andere Sorgen.«
    Brunetti nickte verständnisvoll. Trotzdem hätte er gern gewußt, ob der vermeintliche Unfall zur Anzeige gebracht worden war, ob die beiden Jäger, die Signora Moro gefunden hatten, die Polizei oder die Carabinieri verständigt hatten. Er sah indes ein, daß er Federica Moro nicht länger von ihren Zigaretten fernhalten durfte, und sagte begütigend: »Ich habe nur noch eine Frage, Signora.«
    Doch sie kam ihm zuvor. »Nein, Ernesto hat sich nicht umgebracht. Ich bin seine Mutter, ich weiß es. Und das ist ein Grund mehr, warum ich in meinem Fall nicht länger an einen Unfall glaube.« Sie stemmte sich aus ihrem Sessel hoch. »Wenn das also Ihre letzte Frage war ...«, sagte sie und wandte sich zur Tür. Sie hinkte nur ganz leicht, stützte sich im Gehen eine Spur stärker auf das rechte Bein, sonst nichts, und da sie Hosen trug, konnte er nicht ermessen, wie schwer die Behinderung war.
    Er ließ sich von ihr bis zur Wohnungstür bringen, bedankte sich zum Abschied, scheute sich aber, ihr die Hand zu bieten. Draußen war es etwas wärmer geworden, und da es schon zwölf vorbei war, beschloß Brunetti, gleich nach Hause zu gehen, zum Mittagessen mit seiner Familie.

12
    B runetti war vor den Kindern zu Hause und leistete Paola in der Küche Gesellschaft. Während sie den Tisch deckte, lüpfte er Topfdeckel, schaute in die Bratröhre und stellte beruhigt fest, daß lauter vertraute Gerichte auf dem Speiseplan standen: Linsensuppe, geschmortes Huhn mit Rotkohl, radicchio di Treviso.
    »Du konzentrierst wohl all deinen kriminalistischen Spürsinn auf dieses Hühnchen?« fragte Paola, während sie die Gläser verteilte.
    »Nein, nicht ganz, Signora«, antwortete er, klappte die Ofentür zu und richtete sich auf. »Meine Ermittlungen gelten dem radicchio, genauer gesagt der Frage, ob er auch etwas von der pancetta abbekommen hat, die ich in der Linsensuppe entdeckt habe.«
    »Mit deinem Spürsinn«, scherzte sie und tippte ihm mit dem Finger auf die Nasenspitze, »wirst du dem Verbrechen in dieser Stadt noch den Garaus machen.« Dann nahm sie den Deckel vom Suppentopf, rührte um und sagte forschend: »Du bist aber früh dran heute?«
    »Ich hatte bei San Marco zu tun, da hätte es sich nicht gelohnt, vor dem Essen noch mal in die Questura zu gehen.« Brunetti trank einen Schluck Mineralwasser. »Ich war bei Signora Moro«, sagte er dann und wartete, ob Paola darauf reagieren würden. Als sie schwieg, fuhr er fort:
    »Ich habe sie nach ihrem sogenannten Jagdunfall befragt.«
    »Und?« fragte Paola gespannt.
    »Irgend so ein Sonntagsjäger hat sie angeschossen. Zwei andere haben sie gefunden und ins Krankenhaus gebracht.«
    »Und du bist sicher, daß der Schütze ein unbeteiligter Dritter war?« Aus der Frage sprach die geschulte Skepsis, die Paola in über zwanzigjähriger Ehe mit einem Polizisten

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