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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Jahre später. Wieso?«
    »Ich versuche mir den Fall wieder ins Gedächtnis zu rufen. War das Mädchen nicht die Schwester eines der Kadetten?«
    »Doch, ja, oder eine Cousine.« Paola schüttelte den Kopf, wie um ihre Erinnerung aufzufrischen. »Ich weiß nur noch, daß die Polizei in die Schule gerufen wurde und daß zunächst von einer Vergewaltigung die Rede war. Erst gab es auch ein großes Medienecho, aber dann verschwand der Fall plötzlich wieder aus den Nachrichten.«
    »Merkwürdig, ich kann mich einfach nicht auf den Hergang besinnen. An die Anzeige erinnere ich mich, aber nicht an die Ermittlungen.«
    »Ich glaube, du warst damals zur Fortbildung in London«, meinte Paola. »Ich weiß noch, daß ich das Gefühl hatte, ich würde nie erfahren, was wirklich passiert war, weil du nicht da warst, um mich aufzuklären, und ich mich nur über die Zeitungen informieren konnte.«
    »Ja, du hast recht, das muß zur selben Zeit gewesen sein. Aber bestimmt haben wir was darüber in den Akten, zumindest die Anzeige und die Vernehmungsprotokolle.«
    »Und kannst du die ausgraben?«
    »Signorina Elettra kann's bestimmt.«
    »Ach, aber wozu die Mühe?« wandte Paola plötzlich ein.
    »Es liegt doch eigentlich auf der Hand: reiche Jungs, reiche Eltern, also wird der Skandal hübsch vertuscht, und ehe man sich's versieht, ist der Fall aus den Medien verschwunden und womöglich auch aus den Archiven.«
    »Trotzdem werde ich Signorina Elettra bitten, mal nachzusehen«, sagte Brunetti. Dann fragte er: »Hat Susanna noch mehr erzählt?«
    »Daß sie sich nie wohl gefühlt hat in San Martino. Sie meinte, unterschwellig habe man sie immer spüren lassen, daß sie als Frau dort unerwünscht sei.«
    »Aber ihr Geschlecht konnte sie schwerlich korrigieren, oder?« Brunetti schmunzelte.
    »Das hat gewissermaßen die Schulleitung besorgt, als sie die Stelle neu besetzte.«
    »Laß mich raten. Mit einem Mann?«
    »Und was für einem!«
    Wohl wissend, daß man sich hüten mußte, über eins von Paolas Steckenpferden zu stolpern, fragte Brunetti vorsichtig: »Es handelt sich hier nicht zufällig um eine kleine sexistische Retourkutsche, wie?«
    Paola funkelte ihn an, doch dann wich der zornige Blick einem nachsichtigen Lächeln. »Laut Susanna war das Englisch ihres Nachfolgers ungefähr so gut wie das eines Pariser Taxifahrers, aber er kam von der Marineakademie in Livorno, also waren seine Fremdsprachenkenntnisse nebensächlich. Wahrscheinlich spielen die schöngeistigen Fächer ohnehin nur eine untergeordnete Rolle, denn San Martino ist ja in erster Linie dazu da, den Söhnen reicher Patrizierfamilien den letzten Schliff zu geben, bevor sie in die Fußstapfen ihrer Väter treten, um in der Armee oder anderswo Karriere zu machen. Und beim Militär werden ihnen ja ohnedies keine ernsthaften intellektuellen Anforderungen gestellt.« Bevor Brunetti etwas einwenden konnte, fuhr Paola fort: »Aber gut, vielleicht hat Susanna übertrieben. Sie neigt dazu, sexistische Vorurteile zu wittern, wo gar keine sind.«
    Als Brunetti sich von seiner Überraschung erholt hatte, fragte er: »Und du bist sicher, daß sie dir das alles damals erzählt hat?«
    »Ganz sicher. Bei ihrer Bewerbung hatte sie mich als Referenz angegeben, folglich kam sie auch zu mir, als diese Pauker sie wieder abservieren wollten. Warum fragst du?«
    »Ich wollte nur wissen, ob du seither etwas von ihr gehört hast.«
    »Du denkst an den Jungen?«
    »Erraten.«
    »Nein, wir haben seit, ach, mindestens einem halben Jahr nicht mehr miteinander gesprochen. Aber ich habe alles behalten, was sie mir damals erzählte, vermutlich weil es meine sämtlichen Vorurteile gegen die Militärs bestätigte: Ein eingeschworener Verein mit der Moral einer giftigen Natter, und wenn es darum geht, einen der Ihren zu decken, dann schrecken sie vor nichts zurück, sei es Lüge, Betrug oder Meineid. Erinnere dich nur, was geschah, als die Amerikaner mit einer Militärmaschine in diese Seilbahn gerast sind. Glaubst du, auch nur einer von denen hat hinterher die Wahrheit gesagt? Alle haben sie sich herausgeredet, ich wüßte nicht, daß auch nur ein einziger ins Gefängnis gekommen wäre. Und wie viele Menschen haben sie getötet? Zwanzig? Dreißig?« Paola schnaubte angewidert. Das Glas Wein, das sie sich eingeschenkt hatte, ließ sie vorerst unberührt stehen und fuhr fort: »Mit einem, der nicht dazugehört, springen die doch um, wie es ihnen beliebt, und sobald die Öffentlichkeit anfängt,

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