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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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kritische Fragen zu stellen, machen sie die Schotten dicht und verschanzen sich hinter ihren hohlen Ehrbegriffen. Es ist zum Heulen.« Angewidert schloß sie die Augen, blinzelte dann gerade so weit unter den Lidern hervor, daß sie ihr Glas anpeilen konnte, und trank erst einen kleinen Schluck, dann einen großen. Und auf einmal lächelte sie. »Ende der Katechismusstunde.«
    Brunetti hatte in seiner Jugend die obligaten achtzehn Monate Wehrdienst abgeleistet, die er größtenteils mit seinen Alpini-Kameraden auf Bergtouren verbrachte, und seine - zugegebenermaßen mit den Jahren vergoldete - Erinnerung an diese Zeit war vor allem die eines ganz anders gearteten Zusammengehörigkeits- und Gemeinschaftsgefühls als das, welches er von daheim, aus der Familie, kannte. Am lebhaftesten im Gedächtnis geblieben war ihm eine bitterkalte Nacht in einer Hütte in den Trentiner Bergen, wo er und seine vier Kameraden nach einem frugalen Abendbrot, bestehend aus Käse, Brot und Salami, zwei Flaschen Grappa geleert und dazu Marschlieder gesungen hatten. Wenn er Paola nie von diesem Abenteuer erzählt hatte, dann nicht etwa, weil er sich dafür schämte, daß sie alle sturzbetrunken gewesen waren, sondern weil die Erinnerung an diese Nacht ihn immer noch mit solch schlichter Freude erfüllte. Er hatte keine Ahnung, was aus den anderen Jungs - inzwischen gestandene Männer wie er - geworden sein mochte, aber er wußte, daß in jener zugigen Berghütte ein Bund zwischen ihnen geschmiedet worden war und daß er nie mehr etwas Vergleichbares erleben würde.
    Brunetti kehrte mit den Gedanken zurück in die Gegenwart und zu seiner Frau. »Du hast das Militär immer schon verabscheut, nicht wahr?«
    »Nenne mir einen guten Grund dagegen«, parierte sie.
    Da er sicher war, daß sie seine sentimentalen Erinnerungen als primitiven Korpsgeist gebrandmarkt hätte, war Brunetti um eine Antwort verlegen. »Disziplin?« schlug er zaghaft vor.
    »Ach? Hast du je mit einem Trupp Soldaten zusammen im Zug gesessen?« fragte Paola und wiederholte verächtlich: »Disziplin?«
    »Erst der Wehrdienst nabelt die Jungs von ihren Müttern ab.«
    Paola lachte. »Das ist vielleicht wirklich das einzig Gute daran. Leider nisten sie sich aber nach den achtzehn Monaten alle wieder zu Hause ein.«
    »Glaubst du, das wird bei Raffi auch so sein?« fragte er.
    »Wenn ich etwas zu sagen habe«, begann sie zu seinem Erstaunen, denn wann hätte Paola sich je ihr Mitspracherecht streitig machen lassen, »dann geht Raffi nicht zum Militär. Es wäre besser für ihn, wenn er die achtzehn Monate durch Australien trampt und sich sein Geld als Tellerwäscher verdient. Dabei würde er ganz bestimmt mehr lernen - oder meinetwegen auch als Zivi in einem Krankenhaus.« »Du würdest ihn tatsächlich nach Australien gehen lassen? Für anderthalb Jahre? Als Tellerwäscher?«
    Paola schaute ihn an, und als sie das ungläubige Staunen auf seinem Gesicht sah, mußte sie lächeln. »Wofür hältst du mich, Guido? Ich bin doch nicht die Mutter der Gracchen, daß ich meine Kinder ewig an den Busen drücken muß, als wären sie mein einziger Schmuck. Na schön, es fiele mir sicher nicht leicht, ihn ziehen zu lassen, trotzdem glaube ich, daß es ihm ungemein guttäte, von zu Hause fortzukommen und unabhängig zu werden.« Als Brunetti schwieg, setzte sie scherzhaft hinzu: »Zumindest würde er lernen, sein Bett selber zu machen.«
    »Das tut er jetzt schon«, antwortete der prosaische Brunetti.
    »Ich meine das im übertragenen Sinne«, erklärte Paola.
    »Es würde ihn lehren, daß diese kleine Stadt mit ihren kleinlichen Vorurteilen nicht das ganze Leben ist, und womöglich würde er auch begreifen, daß man arbeiten und eigenes Geld verdienen muß, um sich seine Wünsche zu erfüllen.«
    »Statt seine Eltern anzubetteln?«
    »Genau. Oder die Großeltern.«
    Es kam höchst selten vor, daß Paola Kritik an ihren Eltern übte, und sei sie noch so versteckt, weshalb Brunetti denn auch gleich hellhörig wurde und mehr wissen wollte.
    »Meinst du, man hat es dir in deiner Jugend zu leicht gemacht?«
    »Nicht mehr, als man dir die deine zu schwer gemacht hat, Liebster.«
    Ratlos, was damit gemeint sei, wollte Brunetti schon nachfragen, als die Wohnungstür aufflog und Chiara und Raffi hereingestürmt kamen. Da wechselten er und Paola einen Blick, verständigten sich mit einem Lächeln, und dann war es auch schon Zeit zum Essen.

13
    W ie so oft hatte das Mittagessen daheim im Kreise

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