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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Socken zu den Uniformschuhen trug, ein sicheres Zeichen dafür, daß er sich überstürzt und ohne nachzudenken angekleidet hatte. Außerdem fiel ihm auf, daß keiner der Jungen Bücher dabeihatte. Militärakademie hin oder her - dies war eine Lehranstalt, und Schüler trugen Bücher bei sich, es sei denn, ein Ereignis von höchster Dringlichkeit hätte ihren Alltagsrhythmus außer Kraft gesetzt.
    In der Nähe des portone löste sich ein Kadett aus seiner Gruppe und trat Brunetti und Vianello entgegen. »Was kann ich für Sie tun?« fragte er, allerdings in einem Ton, als sei es an ihnen zu erklären, was sie hier verloren hätten. Ein gutaussehender junger Mann, dunkelhaarig, mit markanten Gesichtszügen und fast so groß wie Vianello, auch wenn er sicher noch keine zwanzig war. Seine Kameraden folgten ihm mit den Augen.
    Verärgert über den hochfahrenden Ton des Kadetten, sagte Brunetti: »Ich möchte mit dem Schulleiter sprechen.«
    »Und wer sind Sie?« fragte der Junge zurück.
    Brunetti antwortete nicht, sondern maß sein Gegenüber nur mit einem langen, abschätzigen Blick. Der andere zuckte mit keiner Wimper und wich auch nicht zurück, als Brunetti einen Schritt auf ihn zu trat. Er trug die vorschriftsmäßige Dienstuniform - dunkelblaue Hose und Jacke weißes Hemd mit Krawatte - und hatte zwei goldene Streifen auf den Ärmelaufschlägen. Während Brunetti beharrlich schwieg, verlagerte der Junge sein Gewicht und starrte ihn, die Hände in die Hüften gestemmt, durchdringend an. Aber er unterließ es, seine Frage zu wiederholen.
    »Wie heißt der zuständige Mann hier?« erkundigte sich Brunetti barsch und fügte nicht weniger schroff hinzu: »Ich meine nicht seinen Namen, sondern den Titel.«
    »Comandante«, entfuhr es dem überraschten Jungen.
    »Ah, wie imposant«, spottete Brunetti, der nicht sicher war, was ihm mehr gegen den Strich ging, die mangelnde Achtung der Jugend vor dem Alter im allgemeinen oder die aufmüpfige Arroganz dieses Knaben im besonderen. »Inspektor, notieren Sie den Namen dieses jungen Mannes«, sagte er an Vianello gewandt und schritt auf die Freitreppe zu, die in den Palazzo führte.
    Er ging die fünf Stufen hoch und stieß die Eingangstür auf. Der Fußboden im Foyer war mit einem großflächigen Rautenmuster aus verschiedenfarbigen Hölzern getäfelt. Stiefelbewehrte Füße hatten quer übers Parkett eine dunkle Spur gelegt, die zu einer Tür an der Stirnwand führte. Brunetti folgte der ausgetretenen Fährte durch die menschenleere Halle, öffnete die Tür und gelangte in einen Korridor, dessen Wände über und über mit Regimentsflaggen geschmückt waren. Die meisten trugen den Löwen von San Marco im Wappen, aber auch anderes Getier war vertreten, allesamt in kriegerischer Haltung, mit gebleckten Zähnen, ausgestreckten Krallen oder gesträubtem Nackenhaar.
    Über den drei Türen zur Rechten stand jeweils eine Zahl. Als Brunetti an der letzten vorbeiging, trat ein Junge, kaum älter als fünfzehn, auf den Flur hinaus. Erstaunt sah er Brunetti an, der ihm ruhig zunickte und fragte: »Wo finde ich das Büro des Comandante?«
    Sein Ton oder sein Auftreten lösten bei dem Jungen eine Art Pawlowschen Reflex aus: Er nahm unverzüglich Haltung an und grüßte zackig. »Eine Treppe höher, Signore. Dritte Tür rechts.«
    Brunetti widerstand der Versuchung, »Stehen Sie bequem« zu sagen, und wandte sich mit einem schlichten »Danke« der Treppe zu.
    Oben angekommen, folgte er der Weisung des Jungen und fand richtig neben der angegebenen Tür ein Schild mit der Aufschrift: COMANDANTE GIULIO BEMBO.
    Brunetti klopfte, zögerte einen Moment und klopfte noch einmal. Als es drinnen stillblieb, beschloß er kurzerhand, die Abwesenheit des Comandante zu nutzen, um sich in dem Büro ein wenig umzusehen. Noch ein rascher Blick den Flur hinunter, dann drückte er auf die Klinke und trat ein. Es ist schwer zu sagen, wer mehr erschrak, Brunetti oder der Mann, der mit einem Stoß Papiere in Händen vor der Fensterfront stand.
    »Oh, ich bitte um Verzeihung«, sagte Brunetti. »Einer der Schüler meinte, ich solle hinaufgehen und in Ihrem Büro auf Sie warten. Ich hatte keine Ahnung, daß Sie hier sind.« Er wandte sich halb zur Tür und drehte den Kopf zurück, scheinbar unschlüssig, ob er bleiben oder sich entfernen sollte.
    Der Mann am Fenster sah ihn an, doch durch den Lichteinfall geblendet, konnte Brunetti seine Gesichtszüge kaum erkennen. Die Uniform des Comandante war heller als die

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