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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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eingegangen?«
    »Sieben Uhr sechsundzwanzig, Signore«, antwortete Alvise wie aus der Pistole geschossen.
    Ein Blick zur Uhr bestätigte Brunetti, daß seitdem über eine halbe Stunde verstrichen war, aber da Alvises Stern nicht zu den hellsten am Firmament der Questura zählte, sparte er sich jede Kritik und sagte nur: »Fordern Sie ein Boot an. Ich komme runter.«
    Sowie er aufgelegt hatte, überflog Brunetti den Dienstplan. Da Ispettore Lorenzo Vianello weder für diesen noch für den nächsten Tag eingeteilt war, rief er bei ihm zu Hause an und erklärte in groben Zügen, was vorgefallen sei. Bevor der Commissario ihn darum bitten konnte, sagte Vianello: »Wir treffen uns dort.«
    Wenn es Alvise gelungen war, dem Bootsführer Brunettis Auftrag fehlerfrei zu übermitteln, dann wohl nicht zuletzt deshalb, weil der nur einen Schreibtisch weiter saß. Immerhin fand Brunetti, als er ein paar Minuten später aus der Questura trat, Alvise und den Bootsführer schon an Bord der im Leerlauf vor sich hin tuckernden Barkasse. Mit einer unmißverständlichen Handbewegung winkte er Alvise wieder zurück. »Gehen Sie nach oben, Sergente, und schicken Sie mir Pucetti herunter.«
    »Aber soll ich Sie denn nicht begleiten, Signore?« fragte Alvise so enttäuscht wie eine Braut, die der Bräutigam vor der Kirche stehengelassen hat.
    »Das geht nicht, leider. Wissen Sie, falls die Schule noch mal anruft, dann möchte ich, daß sie denselben Ansprechpartner haben. Das schafft Vertrauen, und auf die Weise werden wir um so mehr erfahren.«
    Auch wenn diese Notlüge alles andere als plausibel war, gab Alvise sich offenbar damit zufrieden, und Brunetti überlegte nicht zum ersten Mal, ob es vielleicht gerade die unsinnigen Befehle waren, die einem Mann wie ihm am ehesten einleuchteten. Jedenfalls kehrte der Sergente folgsam in die Questura zurück. Ein paar Minuten später war Pucetti an Bord, und der Bootsführer manövrierte die Barkasse von der Riva fort und auf den Bacino di San Marco zu. Der Regen der letzten Nacht hatte die Luft reingewaschen und der Stadt einen herrlich klaren Morgen beschert, auch wenn schon ein scharfer Hauch von Spätherbst in der Luft lag.
    Brunetti hatte seit über zehn Jahren keine Veranlassung mehr gehabt, nach San Martino hinauszufahren, nicht seit der Abschlußprüfung eines Vetters zweiten Grades, der anschließend, wie die meisten Absolventen der Kadettenschule, gleich im Leutnantsrang von der Marine übernommen worden und fortan zügig aufgestiegen war - gleichermaßen zum Stolz seines Vaters wie zur Verwirrung der übrigen Verwandtschaft. Weder bei den Brunettis noch in der Familie seiner Mutter hatte es je eine Militärtradition gegeben. Wenn es zum Krieg kam, wurden die Männer natürlich trotzdem eingezogen, und falls, wie im Zweiten Weltkrieg, die Front quer durchs eigene Land verlief, blieb auch die Familie daheim nicht verschont.
    Vor diesem Hintergrund war es nur verständlich, daß Brunetti von Kindheit an über die Militärs und ihre pompösen Auftritte mit jener geringschätzigen Verachtung hatte reden hören, die seine Eltern und deren Freunde sich ansonsten für Regierung und Kirche aufsparten. Und im Laufe seiner Ehe mit Paola Falier, einer Frau von linkslastiger, wenn auch sprunghafter politischer Gesinnung, hatten sich Brunettis Vorbehalte begreiflicherweise noch verstärkt. Für Paola bestand das größte Verdienst der italienischen Armee in ihrer langen Tradition vermeintlich feiger Rückzugsgefechte. Die größte Schmach hingegen lastete sie jenen politischen und militärischen Führern der jüngeren Geschichte an, die sich dieser Tradition widersetzt und den sinnlosen Tod Hunderttausender junger Männer verschuldet hatten, weil sie sich in trügerischer Verblendung nur mehr von der eigenen Ruhmsucht und dem politischen Ehrgeiz ihrer Verbündeten leiten ließen.
    Brunettis eigene Erfahrungen mit den Militärs, im Wehrdienst und danach, hatten ihm wenig Anlaß gegeben, Paolas Urteil in Frage zu stellen. Selbst die zynische These, das Militär (das italienische wie das jeder anderen Nation) unterscheide sich nicht groß von der Mafia, war nicht ganz von der Hand zu weisen: Hier wie dort herrschte eine von Männern dominierte, frauenfeindliche Organisation; unfähig zu moralischem Handeln oder auch nur schlichter Fairneß außerhalb der eigenen Reihen; machtgierig, arrogant gegenüber der Zivilbevölkerung; gewaltbereit und feige zugleich. Nein, der Unterschied war tatsächlich nicht

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