Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Freunden hatte sich für eine militärische Laufbahn entschieden, aber da sie sich in den letzten Jahren aus den Augen verloren hatten, mochte er ihn nicht anrufen. Außerdem hatte er auch keine Ahnung, was er ihn hätte fragen sollen. Ob die Armee wirklich so unfähig und korrupt war, wie alle Welt zu glauben schien? Nein, das war kaum eine Frage, die man einem aktiven General stellen konnte.
Blieben seine Freunde bei der Presse. Er probierte es bei einem in Mailand, aber als sich der Anrufbeantworter einschaltete, legte er auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Bei einem anderen Freund in Rom hatte er ebenfalls kein Glück. Doch als er Beppe Avisani in Palermo anrief, wurde beim zweiten Klingeln abgenommen.
»Avisani?«
»Ciao, Beppe. Ich bin's, Guido.«
»Ah, schön, deine Stimme zu hören«, sagte Avisani, und ein paar Minuten tauschten sie sich über die Themen aus, die zwischen Freunden anstehen, wenn sie einander längere Zeit nicht gesprochen haben. Falls sie dabei etwas steif klangen, dann weil beide wußten, daß sie heutzutage eigentlich nur noch miteinander sprachen, wenn einer von ihnen Informationen brauchte.
Als das Thema Familie gründlich erschöpft war, fragte Avisani: »Was kann ich für dich tun?«
»Ich untersuche den Tod von Moros Sohn«, antwortete Brunetti und war gespannt, was der Reporter darauf sagen würde.
»Also kein Selbstmord?« fragte Avisani offen und ohne Pietät zu heucheln.
»Das ist es ja, was mir keine Ruhe läßt«, antwortete Brunetti.
»Wenn es Mord war, dann mußt du das Motiv beim Vater suchen«, erklärte Avisani ohne Zögern.
»So weit war ich auch schon, Beppe«, sagte Brunetti, ohne daß es sarkastisch klang.
»Ja, natürlich. Entschuldige.«
»Aber der Moro-Report liegt schon zu lange zurück.«
Brunetti war sicher, daß Avisani als altgedienter Politreporter arbeitete, seine Meinung teilen und den Bericht als Mordmotiv ebenfalls ausklammern würde. »Weißt du, woran er während seiner Zeit als Abgeordneter gearbeitet hat?«
Es entstand eine lange Pause, während deren Avisani Brunettis Frage überdachte. »Du bist da vielleicht auf der richtigen Spur«, sagte er endlich. »Kannst du mal eine Minute warten?«
»Natürlich. Warum?«
»Ich habe die Angaben hier irgendwo gespeichert.«
»Im Computer?« fragte Brunetti.
»Wo sonst?« entgegnete der Reporter lachend. »Ausgedruckt in einer Schublade?«
Brunetti lachte mit, als hätte er tatsächlich einen Witz gemacht.
»Nur eine Minute«, wiederholte Avisani, und Brunetti hörte, wie der Telefonhörer mit einem Klicken auf eine harte Oberfläche traf.
Während des Wartens schaute er aus dem Fenster, versuchte aber gar nicht erst, die Informationen, die in seinem Kopf herumschwirrten, zu ordnen. Er achtete auch nicht auf die Zeit, doch es dauerte weit mehr als eine Minute, bevor Avisani wieder an den Apparat kam.
»Guido?« fragte er. »Bist du noch dran?«
»Ja.«
»Also viel habe ich nicht über den Abgeordneten Moro.
Er war knapp drei Jahre im Parlament, aber man hielt ihn ziemlich im Hintergrund.«
»Man?«
»Die Partei, für die er kandidierte, stellte ihn auf, weil er damals ebenso prominent wie beliebt war und sie sich mit ihm als Zugpferd einen sicheren Wahlsieg versprachen, aber als sie dann am Ruder waren und seine wirklichen Pläne kennenlernten, nahmen sie ihn schleunigst aus dem Rampenlicht.«
Es kam immer wieder vor, daß anständige, reformwillige Politiker in ein System integriert und dann von ihm geschluckt wurden, wie Insekten von einer fleischfressenden Pflanze. Brunetti wußte das, doch da Avisani wesentlich mehr Erfahrung auf dem Gebiet hatte als er, nahm er einen Notizblock zur Hand und sagte bloß: »Ich möchte wissen, in welchen Ausschüssen er mitgearbeitet hat.«
»Tippe ich richtig, und du suchst nach jemandem, dem er - nun, sagen wir in die Quere gekommen ist?«
»Ja.«
Avisani schnalzte abwägend mit der Zunge. »Also ich zähle dir einfach mal auf, was ich habe. Da wäre zunächst der Ausschuß, der die Altersversorgung der Landwirte regeln sollte. Aber der kommt nicht in Frage - saßen lauter Nullen drin. Dann der Ausschuß, der den Versand der Hilfsgüter nach Albanien überwachte.«
»War die Armee mit dem Transport betraut?« fragte Brunetti gespannt.
»Nein. Ich glaube, den haben private Hilfsorganisationen übernommen - wie Caritas und so weiter.«
»Was sonst noch?«
»Postwesen.«
Brunetti schnaubte verächtlich.
»Und militärischer
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