Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
Seiten waren bestechlich, und man überwarf sich, weil Toscano und die Mitglieder des Ausschusses auf der Gehaltsliste konkurrierender Unternehmen standen. Das Erstaunliche an der Sache war gar nicht einmal Toscanos Bestechlichkeit - warum sonst hätte er sich einen solchen Posten aussuchen sollen -, sondern daß man ihn ... Selbst in Gedanken schreckte Brunetti vor dem »erwischt hatte« zurück. Ungewöhnlich auch sein erzwungener Rücktritt, denn Brunetti konnte sich nicht vorstellen, daß ein Mann in Toscanos Position stillschweigend das Feld räumte. Wie auffällig oder skrupellos mußte seine Parteinahme gewesen sein, um ihn zum Ausscheiden zu bewegen?
»Ist der Colonello Venezianer?« fragte Brunetti.
»Nein, aber seine Frau.«
»Und wann sind sie nach Venedig gekommen?«
»Vor zwei Jahren. Gleich nach Toscanos Pensionierung.«
»Haben Sie eine Ahnung, was er als Lehrer in San Martino verdient?«
Signorina Elettra deutete wieder auf das vor ihr liegende Blatt. »Die Gehälter sind jeweils rechts neben den Namen aufgeführt.«
»Wahrscheinlich bekommt er ja auch schon seine Militärpension ausbezahlt«, sagte Brunetti.
»Die ist ebenfalls angegeben.«
Ein Blick genügte, und Brunetti überzeugte sich, daß die Pension des Colonello zusammen mit seinen Bezügen von der Akademie das Gehalt eines Commissario bei weitem überstieg. »Nicht schlecht, würde ich sagen.«
»Trotzdem werden sie sich einschränken müssen«, meinte Signorina Elettra.
»Die Ehefrau?«
»Stammt aus reichem Haus.«
»Und was unterrichtet er?«
»Geschichte und Militärtheorie.«
»Und ist sein Geschichtsunterricht von einer bestimmten politischen Richtung geprägt?«
Sie lächelte über seine diplomatische Formulierung und sagte: »Das kann ich noch nicht beantworten, Signore. Aber ich habe einen Freund, dessen Onkel in San Martino Mathematik lehrt, und der hat versprochen, sich kundig zu machen. Seine Gesinnung dürfte nicht schwer zu erraten sein«, fuhr sie fort, »aber es ist immer gut, sich zu vergewissern.«
Er nickte. Keiner von beiden machte sich Illusionen über das politische und historische Weltbild eines Mannes, der eine zweiundzwanzigj ährige Militärlaufbahn hinter sich hatte. Aber wie Signorina Elettra hielt auch Brunetti es für das beste, auf Nummer Sicher zu gehen.
»Und gibt es eine Verbindung zwischen dem Colonello und dem Maggiore?« fragte er. »Waren sie vielleicht einmal in derselben Einheit stationiert?«
Diesmal galt ihr Lächeln offenbar seinem kriminalistischen Scharfsinn. Triumphierend zog sie den zweiten Stapel Papiere heran. »Wie es aussieht, saß der frisch pensionierte Maggiore zur selben Zeit, als der Colonello den Parlamentsausschuß beriet, im Vorstand der Edilan-Forma-Werke.«
»Und was ist das für ein Unternehmen?«
»Eine Firma aus Ravenna, die das Militär mit Uniformen, Stiefeln, Tornistern und anderem ausstattet.«
»Was heißt ›und anderem‹?« fragte Brunetti.
»Ich habe ihr Computersystem noch nicht geknackt«, gestand sie so freimütig, als deckte sein anfängliches Schweigegelübde automatisch auch dieses Bekenntnis. »Aber es sieht so aus, als lieferten sie schlichtweg alles, was ein Soldat an Kleidung oder tragbarem Gerät braucht. Und den Vertrieb für die Firmen, von denen das Militär Verpflegung und Getränke bezieht, übernehmen sie auch.«
»Und was bedeutet das alles?« fragte Brunetti.
»Millionen, Signore! Millionen und Abermillionen. Es ist eine unerschöpfliche Geldquelle, oder könnte zumindest eine sein. Immerhin verfügt das Militär über einen Etat von siebzehn Milliarden Euro pro Jahr.«
»Aber das ist ja Wahnsinn!« entfuhr es Brunetti.
»Nicht für den, der eine Chance hat, etwas davon abzuzweigen«, konterte sie.
»Edilan-Forma?«
»Zum Beispiel«, antwortete sie und wandte sich dann wieder ihren Unterlagen zu. »Einmal hat der Ausschuß auf Betreiben eines seiner Mitglieder die Verträge mit Edilan-Forma unter die Lupe genommen.«
Auch wenn er es kaum für nötig hielt, fragte Brunetti:
»Moro?«
Sie nickte nur.
»Und was hat er beanstandet?«
»Die Protokolle vermerken eine Anfrage bezüglich der Preise einiger Artikel sowie die bestellten Mengen«, erklärte sie.
»Und wie ist es ausgegangen?«
»Als besagtes Ausschußmitglied zurücktrat, wurde die Untersuchung eingestellt.«
»Und die Verträge mit Edilan-Forma?«
»Wurden alle erneuert.«
War er nicht ganz bei Trost, daß ihm dies alles so normal und vorhersehbar
Weitere Kostenlose Bücher