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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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erschien? Oder war das ganze Land einem Wahn verfallen, der dazu führte, daß sich die Papiere auf Signorina Elettras Schreibtisch nur noch auf eine Weise deuten ließen: daß nämlich die Staatskasse ein Selbstbedienungsladen war und jedes öffentliche Amt ein Freibrief zur persönlichen Bereicherung?
    Dottor Moro, der naive und grundehrliche Moro, hatte es gewagt, diese Sichtweise anzuzweifeln. Und er hatte die Quittung für seine unbequemen Fragen bekommen - wenn auch nicht persönlich, sondern auf dem Umweg über seine Familie.
    »Falls Sie das nicht schon gemacht haben, könnten Sie Toscano und Filippi einmal genauer unter die Lupe nehmen?«
    »Ich war gerade dabei, als Sie kamen, Signore«, sagte sie.
    »Aber mein Freund aus Rom, der im Militärarchiv arbeitet, mußte für ein paar Tage nach Livorno, und darum kann ich ihre Personalakten nicht vor Ende der Woche einsehen.«
    Brunetti verlor kein Wort darüber, daß sie untätig am Fenster gestanden und einen traurigen Blick in ihre Vergangenheit oder Zukunft geworfen hatte, als er hereingekommen war. Statt dessen bedankte er sich höflich und ging zurück in sein Büro.

22
    B runetti mußte seinen ganzen Willen aufbieten, um bis Dienstschluß in der Questura auszuharren. Erst vertrieb er sich die Zeit damit, die eingegangenen Berichte zu lesen und abzuzeichnen, dann las er nur noch jeden zweiten und schließlich jeden dritten, malte aber gewissenhaft sein Kürzel GB auch unter diejenigen, die er nicht gelesen hatte. Doch während sein Blick über die Texte und Zahlenkolonnen glitt, die endlose Fülle von Fakten und Ziffern streifte, die der Realität so verwandt waren wie Anna Anderson mit Zar Nikolaus II. war er in Gedanken immer noch bei Moro.
    Kurz vor Feierabend rief er Avisani in Palermo an.
    Wie schon beim letzten Mal meldete sich der Journalist mit vollem Namen.
    »Ich bin's, Beppe«, sagte Brunetti.
    »Ich bitte dich, Guido, es ist nicht mal ein Tag vergangen! Laß mir noch ein bißchen Zeit, ja?« forderte der Reporter ungehalten.
    »Nein, ich wollte dich nicht drängen, Beppe, glaub mir. Ich hätte nur noch zwei Namen für deine Liste«, begann Brunetti, und bevor Avisani etwas einwenden konnte, fuhr er fort: »Einen Colonello Giovanni Toscano und einen Maggiore Marcello Filippi.«
    Nach einer langen Pause ließ sich Avisani mit einem tiefen Seufzer vernehmen: »Mann, o Mann! Ich kann nur sagen: Wo Rauch ist, ist auch Feuer; beides gehört zusammen wie Öl und Essig; Pfeffer und Salz.«
    »Oder Toscano und Filippi?« fragte Brunetti.
    »Du hast's erfaßt. Wie bist du denn über die beiden gestolpert?«
    »Moro«, lautete die knappe Antwort. »Beide hatten mit dem Ausschuß zu tun, in dem Moro bis zu seinem Rückzug aus dem Parlament gearbeitet hat.«
    »Ach ja, die Geschichte mit dem Versorgungsdienst«, sagte Avisani und zog dabei das letzte Wort genüßlich in die Länge.
    »Weißt du was darüber?« fragte Brunetti, der sicher war, daß sein Freund über einschlägige Informationen verfügte.
    »Ich weiß, daß Colonello Toscano ersucht wurde, seine Beratertätigkeit für den parlamentarischen Ausschuß niederzulegen, und daß er sich kurz darauf auch aus der Armee verabschiedete.«
    »Und Filippi?«
    »Ich glaube, der Maggiore kam zu der Erkenntnis, daß seine Interessenkonflikte allzu offensichtlich waren.«
    »Was denn für Interessenkonflikte?«
    »Nun, er ist immerhin mit der Cousine des Chefs einer Firma verheiratet, von der seine Fallschirmspringer den Großteil ihrer Ausrüstung beziehen.«
    »Edilan-Forma?« fragte Brunetti.
    »Na, da ist aber einer fleißig gewesen!« bemerkte Avisani anerkennend.
    Ehrlicherweise hätte Brunetti jetzt klarstellen müssen, daß Signorina Elettra die Fleißarbeit geleistet hatte, aber er hielt es für besser, das einem Mitglied der Presse nicht auf die Nase zu binden. »Hast du was darüber geschrieben?« fragte er.
    »Immer und immer wieder, Guido«, antwortete Avisani mit einem resignierten Seufzer.
    »Und?«
    »Und was sollen die Leute tun? Überraschung heucheln? So tun, als würden sie nicht auf die gleiche Art Geschäfte machen? Weißt du noch, was dieser Fernsehkomiker gesagt hat, als die Initiative Mani pulite gegründet wurde?«
    »Daß wir alle korrupt wären und jeder von uns ein paar Tage ins Gefängnis wandern sollte?« fragte Brunetti, der sich noch gut an Beppo Grillos stürmischen Appell an seine Landsleute erinnerte. Grillo war Komiker, also durfte man ungeniert über ihn lachen, auch

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