Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
anlangte. Da sie am Eingang unweigerlich zusammentreffen würden, manövrierte Brunetti, während er sich eine unverfängliche Begrüßung zurechtlegte, das Plastiknetz vorsorglich aus Scarpas Blickfeld.
»Nanu, haben Sie sich geprügelt, Commissario?« fragte Scarpa mit geheuchelter Besorgnis, als er die Flecken auf Brunettis Hemd und Jacke sah.
»Nein, nein, bin bloß an einer Baustelle gestolpert und gegen eine Mauer geprallt«, gab Brunetti ebenso scheinheilig zurück. »Trotzdem danke für Ihre Anteilnahme.«
Während er das Netz so gut es ging hinter seinem Rücken verbarg, nickte Brunetti dem Posten zu, der ihnen die Tür aufhielt, seinen Gruß erwiderte und schneidig vor dem Tenente salutierte. Brunetti, der jeder weiteren Unterhaltung mit Scarpa aus dem Weg gehen wollte, war schon auf der Treppe, als er den Tenente hinter sich sagen hörte: »So ein Netz habe ich schon ewig nicht mehr gesehen, Commissario. Sieht genauso aus wie die, die unsere Mütter früher hatten.« Und nach einer wirkungsvollen Pause: »Als sie ihre Besorgungen noch selber erledigen konnten.«
Für einen Augenblick geriet Brunetti aus dem Tritt, hatte sich aber so rasch wieder gefangen, daß es nicht auffiel - ebensowenig wie die ersten Anzeichen der geistigen Umnachtung, an der seine Mutter seit zehn Jahren litt. Er konnte sich nicht erklären, wie Scarpa davon erfahren hatte, ja war nicht einmal sicher, ob der Tenente wirklich Bescheid wußte. Doch warum sonst die häufigen Anspielungen auf ihre Mütter? Und sein auffallender Hang, Gedächtnislücken oder Leistungsabfall bei Kollegen, wenn auch als Scherz verbrämt, für Zeichen von Senilität zu erklären?
Brunetti ignorierte die Bemerkung und setzte seinen Weg fort. Im Büro angelangt, schloß er die Tür, legte das Netz auf den Schreibtisch, zog die Jacke aus und besah sich den Schaden. Es war eins seiner Lieblingsjacketts, aber nun machten sich auf dem grauen Leinen große schwarze Flecken breit, die vermutlich keine Reinigung mehr rausbekommen würde. Seufzend hängte er die Jacke über die Stuhllehne und lockerte seine Krawatte, wobei ihm auffiel, wie schmutzig seine Finger waren. Er ging hinunter in den Waschraum, wusch sich, netzte sein Gesicht mit Wasser und fuhr sich mit den nassen Händen über den Nacken.
Zurück an seinem Schreibtisch, nahm er sich unverzüglich die mitgebrachten Papiere vor. Den Gedanken, sie etwa nach Sachgebieten zu ordnen, verwarf er rasch und hielt sich statt dessen an die vorgegebene Reihenfolge. Zuoberst lagen Gas- und Stromrechnungen, Wasser- und Abfallgebühren: chronologisch geordnet, jeweils nach den zuständigen Versorgungsämtern abgeheftet, aber allesamt von einem Konto bei der Uni Credit abgebucht. Dann kam ein Bündel mit Beschwerdebriefen der Nachbarn, darunter auch Signora Gismondi, die bis zu sieben Jahre zurückreichten. Alle waren posta raccomandata verschickt worden, und immer drehte es sich um die Lautstärke des Fernsehers. Als nächstes stieß er auf eine Fotokopie der Heiratsurkunde und ein Schreiben vom Ministero dell'Interno an Signor Battestini, das den Empfang seines Berichts vom 23. Juni 1982 bestätigte.
Es folgte ein Stoß Briefe, adressiert an Signora Battestini oder ihren Mann, manchmal auch an beide gemeinsam. Brunetti öffnete sie, las jeweils den ersten Absatz und überflog dann den Rest, um festzustellen, ob etwas Wichtiges dabei war. Eine Nichte namens Graziella bedankte sich regelmäßig in peinlich gedrechselten Floskeln für ein Weihnachtsgeschenk, das freilich nie benannt wurde. Graziellas ungelenke Schrift und ihr hölzerner Stil blieben über die Jahre unverändert.
In einem der Kuverts mit Graziellas Absender fand sich statt eines Briefes von ihr ein einzelnes Blatt mit Notizen in einer steilen, gestochen scharfen Schrift. Eine Liste mit Initialen auf der linken Seite wurde rechts jeweils durch eine Ziffernfolge ergänzt, der in einigen Fällen ein oder mehrere Buchstaben folgten beziehungsweise vorangestellt waren.
Noch ehe er sich einen Reim darauf machen konnte, hörte Brunetti seinen Namen rufen und sah, aufblickend, Vianello in der Tür stehen. Anstelle einer Begrüßung überraschte er seinen Inspektor mit der Frage: »Sie lösen doch gern Kreuzworträtsel, nicht wahr?«
Vianello nickte und trat näher. Sowie er auf einem der Besucherstühle vor dem Schreibtisch Platz genommen hatte, schob Brunetti ihm das Notizblatt zu und sagte: »Was fällt Ihnen dazu ein?«
Vianello nahm den Zettel
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