Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
vertrieb. Er entschied sich für ein paar tramezzini als dürftigen Ersatz fürs Mittagessen, und nach reiflicher Überlegung fiel seine Wahl auf die Enoteca Boldin, die nicht nur die besten Sandwiches machte, sondern auch fast auf seinem Weg lag, so daß er bequem gegen eins die Wohnung von Signora Battestini erreichen würde.
Der Kater, der auf den Namen Olga hörte, schlief auf seinem Stammplatz vor der Bar, und Brunetti sah mit Freuden, daß sein Fell endlich nachgewachsen war, auch wenn es den seidiggrauen Schimmer von früher nicht wiedererlangt hatte. Die geheimnisvolle Krankheit, der Olga vor drei Jahren anheimgefallen war, wurde in der Nachbarschaft lebhaft diskutiert und hatte die abenteuerlichsten Deutungen erfahren: Nach einer Version hatte man den Kater mit Säure übergossen, eine andere führte seine entsetzliche Kahlheit auf eine plötzliche Allergie zurück. Unabhängig davon, welcher Lesart sie anhingen, hatten sich zahlreiche Stammgäste der Enoteca Boldin an den Tierarztrechnungen beteiligt, darunter auch Brunetti, der jetzt, auf dem Weg in die Bar, über die schlafende Katze hinwegstieg.
Nicht einmal im Zustand geistiger Entrückung konnten zwei tramezzini mit prosciutto und Zucchini (und seien sie noch so gut) und zwei Glas Weißwein als Mittagessen durchgehen, aber der Gedanke an Paolas kümmerliche Knabberstangen nebst Käse und angeschimmeltem Pfirsich machte ihm sein Los halbwegs erträglich.
Als er vor dem Haus anlangte, waren die Fensterläden geschlossen. Da das einzige Klingelschild den Namen »Battestini« trug, konnte er sich nicht seiner üblichen List bedienen und aufs Geratewohl bei jemandem läuten, unter dem Vorwand, er wolle zu einem Nachbarn, dessen Namen er auf dem Klingelbrett gelesen hatte. Ein Trick, mit dem er immer durchkam, wenn er obendrein noch Veneziano sprach. Heute aber würde er auf Signorina Elettras Dietriche zurückgreifen müssen. Er unterdrückte den Impuls, sich umzuschauen und zu vergewissern, daß er nicht beobachtet wurde, schob die Hand in die Jackentasche und fischte den kleinsten Dietrich heraus. Es war ein einfaches Schloß, das er im Nu aufbekam. Als er die Tür aufstieß, zwang er sich abermals, nicht über die Schulter zu sehen.
Nach der Hitze draußen empfing ihn im Hausflur eine angenehme Kühle. Die Wände waren frisch geweißelt, und durch die Fenster über der Tür fiel helles Licht herein. Als Brunetti sich auf den Weg in den zweiten Stock machte, stellte er fest, daß auch die Wände im Treppenhaus blitzsauber waren und die Marmorstufen glänzten. Ein Namensschild an der Wohnungstür erübrigte sich, da Signora Battestini ja über das ganze Haus verfügt hatte. Er bückte sich, um das Schloß in Augenschein zu nehmen, und sah, daß es ein einfaches Cisa war, ein Modell, das er schon etliche Male aufbekommen hatte. Diesmal wählte er den mittleren Dietrich, führte ihn behutsam ein, schloß die Augen, um sich ganz auf seine Finger zu konzentrieren, und tastete nach der ersten Zuhaltung.
In weniger als einer Minute hatte er das Schloß geknackt.
Er stieß die Tür auf, tastete an der Wand nach dem Lichtschalter und war, als die Lampe anging, verblüfft über die kühle, schlichte Einrichtung, die ihm so gar nicht zu der betagten Signora Battestini zu passen schien: weder der helle, maschinengewirkte Teppich auf dem Fußboden, noch die beiden fleckenlosen weißen Polstersessel oder das dunkelblaue Sofa, das aussah, als wäre es nie benutzt worden, und schon gar nicht der niedrige Glastisch mit einer flachen Holzschale in der Mitte. Doch dann begriff der Commissario, was passiert sein mußte: Entgegenkommende Polizisten oder übereifrige Verwandte hatten das Siegel entfernt, und die Wohnung war in aller Eile renoviert worden. Bei näherem Hinsehen entpuppten sich die vermeintlichen Ahornmöbel als billiges Resopal, genau das, was ein Hausbesitzer in eine Wohnung stellen würde, die er wochenweise zu vermieten beabsichtigte.
Brunetti ging nach hinten durch und fand in jedem Raum das gleiche Kalkül am Werk: Überall weiße Wände und helle Ausstattung mit jeweils einem dunklen Möbelstück als Kontrast. Einzig am Bad ließ sich ablesen, wie die Wohnung früher ausgesehen haben mochte: Die Armaturen waren erneuert worden, aber die zum Teil schon altersmatten, angelaufenen rosa Kacheln hatte man beibehalten.
Als Brunetti stichprobenartig Schränke und Schubladen öffnete, fand er neue Laken und Handtücher, teils noch in Plastik verpackt, und
Weitere Kostenlose Bücher