Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
Schicksal vorstellen. »War das ihr einziges Problem?«
Signora Marieschi wollte schon antworten, bremste sich aber im letzten Moment. »Würden Sie mir, bevor ich weitere Fragen beantworte, sagen, was Sie damit bezwecken, Commissario?«
»Natürlich.« Brunetti setzte sein gewinnendstes Lächeln auf; schließlich hatte er eine Juristin vor sich, da war jede Taktik erlaubt, »Allem Anschein nach ist das Verbrechen aufgeklärt, und wir wollen den Fall endgültig abschließen, aber zuvor möchten wir vorsorglich noch jede weitere Möglichkeit ausschließen.«
»Was meinen Sie mit ›weitere Möglichkeit‹?«
»Daß jemand anders den Mord begangen haben könnte.«
»Aber ich dachte, die Rumänin ...« begann sie und brach dann seufzend ab. »Ich weiß ehrlich nicht, ob ich mich jetzt freuen oder traurig sein soll«, gestand sie endlich. »Aber wenn sie es nicht war, dann brauchte ich mich wenigstens nicht mehr so schuldig zu fühlen.« Sie probierte ein Lächeln, was indes mißlang, und fuhr fort: »Aber haben Sie oder vielmehr die Polizei denn Grund zu der Annahme, daß ein anderer den Mord begangen hat?«
»Nein«, behauptete er mit der Geschmeidigkeit des erprobten Lügners, »eigentlich nicht.« Und setzte unter Zuhilfenahme von Pattas Lieblingsargument hinzu: »Aber in diesem Klima des Mißtrauens, das seitens der Medien gegenüber der Polizei geschürt wird, müssen wir uns so gut wie irgend möglich absichern, bevor wir einen Fall zu den Akten legen. Und je eindeutiger die Beweislage, desto geringer das Risiko, daß unsere Entscheidungen von der Presse in Zweifel gezogen werden.«
Sie nickte verständnisvoll. »Ja, das leuchtet mir ein. Natürlich würde ich Ihnen gerne helfen, doch ich wüßte, ehrlich gestanden, nicht, wie.«
»Sie sagten vorhin, Sie hätten Signora Battestini auch noch anderweitig beraten. Könnten Sie mir sagen, worum es dabei ging?« Als er ihr Zögern bemerkte, setzte er hinzu: »Ich denke, ihr Tod und vor allem dessen Begleitumstände gestatten es Ihnen, Dottoressa, offen zu sprechen, ohne Rücksicht auf die anwaltliche Schweigepflicht.«
Das Argument schien sie zu überzeugen. »Da war einmal ihr Sohn, Paolo. Er starb vor fünf Jahren nach langer Krankheit. Maria war ... sie wäre damals selber fast vor Gram gestorben, und noch lange danach war sie wie gelähmt. Also habe ich erst die Beerdigung für sie arrangiert und mich dann um Paolos Hinterlassenschaft gekümmert - eine ganz unkomplizierte Angelegenheit, denn Maria war die Alleinerbin.«
Die Floskel »nach langer Krankheit« übersetzte Brunetti sich unwillkürlich mit Krebs, diesem Tabuwort, das kaum jemand auszusprechen wagte. Immer nahmen die Leute Zuflucht zu Umschreibungen wie »eine lange Krankheit«, »ein Tumor«, »ein furchtbares Leiden« oder einfach »diese Krankheit«.
»Wie alt war er, als er starb?«
»Vierzig, glaube ich.«
Der Umstand, daß seine Mutter ihn beerbt hatte, sprach dafür, daß Paolo unverheiratet gewesen war, und so fragte Brunetti nur: »Lebte er mit seiner Mutter zusammen?«
»Ja, er hing sehr an ihr.«
Gepaart mit dieser Antwort erschien die Wendung »nach langer Krankheit« in einem ganz neuen Licht, doch Brunetti enthielt sich jeden Kommentars. Vielmehr wechselte er das Thema und fragte: »Dürfen Sie über Signora Battestinis Testament Auskunft geben?«
»Daran war nichts Besonderes«, antwortete sie. »Ihre einzige noch lebende Verwandte ist eine Nichte namens Graziella Simionato, und sie ist die Alleinerbin.«
»Ist es eine große Erbschaft?« fragte er.
»Eigentlich nicht. Das Haus in Cannaregio, eine weitere Immobilie am Lido und etwas Barvermögen, das Maria bei der Uni Credit angelegt hatte.«
»Haben Sie eine Ahnung, wieviel das war?«
»Die genaue Summe kann ich Ihnen nicht nennen, aber es sind so um die zehn Millionen«, sagte sie und berichtigte sich umgehend: »Also in Lire. Ich rechne immer noch in der alten Währung und muß mir das ständig in Euro übersetzen.«
»Das geht uns wohl allen so«, meinte Brunetti und fügte dann hinzu: »Eine letzte Frage hätte ich noch, was diese leidige Geschichte mit dem Fernseher betrifft. Können Sie mir darüber etwas sagen?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich weiß, ich weiß. Ich habe laufend Post von Nachbarn bekommen, die sich über die Lautstärke beschwerten. Jedesmal, wenn so ein Brief eintraf, habe ich Maria besucht und ihr gut zugeredet, und sie versprach mir, den Ton leiser zu stellen. Aber sie war alt und
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