Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
fuhr Vianello fort: »Ich nehme an, ihre Vorgängerinnen hatten keine Papiere und wollten sich aus Angst vor den Behörden nicht mit der Nachbarschaft einlassen.«
»Hatte die alte Signora denn viel Kontakt mit ihrem Viertel?« fragte Brunetti.
»In den letzten Jahren, vor allem nach dem Tod des Sohnes, nicht mehr. Bis vor etwa drei Jahren konnte sie zwar noch Treppen steigen und sich frei bewegen, aber dann verletzte sie sich bei einem Sturz das Knie. Und danach ist sie offenbar nicht mehr ausgegangen. Inzwischen waren auch die wenigen Freunde, die sie in der Nachbarschaft noch hatte, entweder gestorben oder fortgezogen, und bei den Nachzüglern hatte sie sich so unbeliebt gemacht, daß bald niemand mehr etwas mit ihr zu tun haben wollte.«
»Was hat sie denn angestellt?«
»Ach, Bars verlassen, ohne zu zahlen, sich über Obst beschwert, das angeblich nicht frisch oder nicht schmackhaft genug war, Dinge gekauft und benutzt, die sie dann wieder zurückgeben wollte: lauter Sachen, mit denen man Geschäftsleute zur Weißglut treibt. Ich hörte auch, daß sie eine Zeitlang ihren Abfall einfach aus dem Fenster geworfen hat, bis jemand die Polizei rief, und nachdem die Kollegen ihr ins Gewissen geredet hatten, ließ sie das wieder bleiben. Aber die Hauptklage galt dem Fernseher.«
»Sind Sie auch auf jemanden gestoßen, der schon mal mit ihrer Anwältin zu tun hatte?«
Vianello überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Nein, persönlich kennt die wohl keiner, aber ein paar Leute sagten, sie hätten ihr geschrieben, auch wieder wegen des Fernsehers.«
»Und?«
»Sie hat keinen der Briefe beantwortet.«
Das überraschte Brunetti nicht: Solange niemand die alte Frau verklagte, hatte ihre Anwältin keine Handhabe, um auf das Verhalten ihrer Mandantin einzuwirken. Trotzdem paßte ihre Mißachtung dieser Beschwerdeflut nicht zu Avvocatessa Marieschis Beteuerung, wie sehr sie um Signora Battestini besorgt gewesen sei. Andererseits: Welcher Anwalt setzte schon ein Schreiben auf ohne die Gewißheit, es auch in Rechnung stellen zu können?
»Und was erzählen die Leute über den Mordtag?«
»Nichts. Ein Mann glaubt sich zu erinnern, daß er die Rumänin aus dem Haus kommen sah, aber beschwören würde er das nicht.«
»Weil er nicht weiß, ob es tatsächlich die Rumänin war, oder weil er unsicher ist, ob sie aus Signora Battestinis Haus kam?«
»Ich weiß es nicht. Sobald ich Interesse an seiner Aussage zeigte, war kein Wort mehr aus ihm herauszubringen.« Vianello hob resigniert die Hände. »Viel ist das nicht, ich weiß, aber ich glaube kaum, daß man mit unauffälligen Fragen mehr in Erfahrung bringen kann.«
»Das ist nichts Neues, oder?« meinte Brunetti, der gleichwohl seine Enttäuschung nicht verhehlte.
Vianello zuckte die Achseln. »Sie wissen ja, wie das ist: An den Sohn scheint sich niemand so recht zu erinnern. Die Mutter war bei allen unbeliebt, und da ihr Mann schon seit zehn Jahren tot ist, erfährt man über ihn nur, was für eine brava persona er war, wie gern er mit seinen Freunden ein Glas geleert hat und daß man nicht begreifen könne, wie er es so lange mit dieser Frau ausgehalten hat.«
Brunetti nickte. Ob man nach seinem Tod auch einmal so über ihn reden würde?
»Und was haben Sie herausgefunden, Commissario?« fragte Vianello.
Brunetti berichtete von seinem Gespräch mit der Anwältin und vergaß auch nicht, den Hund zu erwähnen.
»Haben Sie sich nach den Bankkonten erkundigt?« wollte Vianello wissen.
»Nein. Sie erwähnte nur die fünftausend Euro, die Signora Battestini bei der Uni Credit hatte. Und bevor wir nichts Näheres über die anderen Konten wissen, wollte ich sie nicht zur Sprache bringen.«
Als könne sie Gedanken lesen, wählte Signorina Elettra just diesen Moment, um auf der Bildfläche zu erscheinen. Sie trug einen grünen Rock und eine weiße Bluse und um den Hals eine Kette aus großen tropfenförmigen Bernsteinen. Als sie auf die beiden Männer zuschritt, brach sich das Sonnenlicht in dem Geschmeide, so daß die Steine rot aufflammten und die Signorina sich in ein mit den Landesfarben umhülltes Sinnbild staatsbürgerlicher Tugenden verwandelte. Eine Vision, die freilich nur einen Augenblick lang währte, denn sobald sie im Näherkommen aus der Sonnenbahn heraustrat, war Elettra wieder sie selbst.
Sie legte einen Aktendeckel auf Brunettis Schreibtisch und sagte mit bewundernswerter Bescheidenheit: »Es ging leichter, als ich gedacht
Weitere Kostenlose Bücher