Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist

Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist

Titel: Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
mehr Katechismus dazu.«
    Statt sich nach dem korrekten Titel zu erkundigen, forschte Brunetti weiter: »Und wo bist du jetzt?«
    »Bei den Sakramenten.«
    Mechanisch sagte er diejenigen auf, die ihm noch aus dem Religionsunterricht im Gedächtnis waren: »Taufe, Firmung, Eucharistie, Buße, Eheschließung, Priesterweihe ...«
    Hier stockte er. »Es sind doch sieben, oder?«
    »Ja.«
    »Und was ist das siebte? Ich hab's vergessen. Es ist einfach weg.« Wie jedesmal, wenn ihm etwas im Grunde Vertrautes partout nicht einfallen wollte, erschrak er vor Angst, dies könnten die gleichen verräterischen Symptome sein, die bei seiner Mutter keiner hatte wahrhaben wollen.
    »Letzte Ölung«, sagte Paola mit einem Seitenblick auf ihn. »Vielleicht das subtilste von allen.«
    Brunetti konnte ihr nicht ganz folgen. »Wieso ›subtil‹?«
    »Überleg doch mal, Guido. Wenn es ans Sterben geht, wenn alle sich einig sind, daß kaum noch oder gar keine Hoffnung mehr besteht, genau zu dem Zeitpunkt erscheint der Priester.«
    »Ja, stimmt. Aber ich verstehe immer noch nicht, was daran so subtil ist.«
    »Denk mal nach. In früheren Zeiten waren die Geistlichen die einzigen, die lesen und schreiben konnten.«
    Brunetti war durstig, erhitzt und wie immer reizbar, wenn er untertags geschlafen hatte. »Übertreibst du jetzt nicht ein bißchen?« nörgelte er.
    »Ja, zugegeben. Aber im Prinzip ist es doch so gewesen, daß die Kirchenmänner des Lesens und Schreibens kundig waren, die meisten Laien dagegen nicht. Das änderte sich erst mit dem neunzehnten Jahrhundert.«
    »Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinauswillst«, sagte er.
    »Denk eschatologisch, Guido«, versetzte sie eindringlich und verwirrte ihn damit nur noch mehr.
    »Danach trachte ich von früh bis spät.« In Wirklichkeit war ihm die Bedeutung des Wortes entfallen, aber es tat ihm sehr leid, daß er sie angefahren hatte.
    »Tod, Jüngstes Gericht, Himmel und Hölle«, zählte sie auf. »Die vier letzten Dinge. An dem Punkt, wo der Mensch auf das erste trifft und weiß, daß er dem zweiten nicht entkommen kann, beginnt er über das dritte und vierte nachzudenken. Und dann erscheint der Priester und füttert ihn mit beredten Schilderungen vom Fegefeuer und den himmlischen Freuden, wobei ich immer den Eindruck hatte, daß die Leute viel mehr bestrebt sind, ersteres zu meiden, als von letzteren zu kosten.«
    Brunetti, dem langsam dämmerte, wo das hinführte, schwieg still.
    »Und der Priester - der übrigens nicht selten zugleich Notar war - malte dem armen Sterbenden dann gewiß auch wortreich aus, wie das Fegefeuer einen sündigen Menschen bei lebendigem Leibe verzehrte und daß seine unbeschreiblichen Qualen fortdauern würden bis in alle Ewigkeit.«
    Sie hätte das Zeug zur Schauspielerin, dachte er, wenn sie es darauf anlegt, gerät ihr jedes Wort zu einem Glaubensakt.
    »Aber für den guten Christen gibt es«, fuhr sie, ins Präsens wechselnd, mit honigsüßer Stimme fort, »einen Weg, dem Fegefeuer zu entgehen und Vergebung zu erlangen. Ja doch, mein Sohn, du brauchst bloß dein Herz der Liebe Jesu zu öffnen und deine Börse für die Not der Armen. Setze nur deinen Namen oder, wenn du nicht schreiben kannst, dein Kreuzchen unter dieses Papier, und zum Dank für deine Großzügigkeit gegen die heilige Mutter Kirche werden die Himmelstore sich weit auftun, dir zum Empfang.«
    Paola ließ das Buch auf die Brust sinken und wandte sich ihm zu. »So wurde denn in letzter Minute ein Testament unterzeichnet und dies oder das oder auch das gesamte Erbe der Kirche vermacht. Denn natürlich«, fuhr sie in plötzlich bitterem Ton fort, »wollten die Siechen und Sterbenden oder die armen geistig Verwirrten unbedingt in den Himmel kommen. Und gab es einen besseren Zeitpunkt, um sie zu schröpfen, als auf dem Totenbett?«
    Sie nahm ihr Buch wieder zur Hand, blätterte eine Seite weiter und sagte in verbindlichem Plauderton: »Siehst du, und darum ist die Letzte Ölung das subtilste unter den sieben Sakramenten.«
    »Erzählst du so was auch Chiara?« fragte Brunetti entsetzt.
    Paola wandte sich ihm wieder zu und lächelte nachsichtig. »Natürlich nicht. Entweder sie kommt, wenn sie älter wird, von selber drauf, oder auch nicht. Du darfst nicht vergessen, daß wir uns darauf geeinigt haben, nie in die religiöse Erziehung der Kinder einzugreifen.«
    »Und wenn Chiara nun nicht von selber draufkommt?« fragte er und betonte dabei die letzten drei Worte so bänglich, als sei es

Weitere Kostenlose Bücher