Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
ausgemacht, daß Paola sich für den Fall von ihrer Tochter enttäuscht zeigen würde.
»Dann wird ihr Leben vermutlich um einiges friedlicher verlaufen«, sagte Paola gelassen und widmete sich wieder dem Katechismus.
Dottor Carlottis Praxis befand sich im Erdgeschoß eines Hauses in der Calle Stella, nicht weit von den Fondamente Nuove. Brunetti, der die Adresse in den Calli, Canali e Campielli nachgeschlagen hatte, erkannte das ambulatorio schon von weitem, als er zwei Frauen mit Kleinkindern auf dem Arm vor dem Eingang stehen sah. Er lächelte den Müttern zu und läutete an der Tür. Ein grauhaariger Mann mittleren Alters öffnete ihm. »Commissario Brunetti?« fragte dieser.
Als Brunetti nickte, streckte der Arzt den Arm aus und zog Brunetti mit einem kräftigen Händedruck über die Schwelle. Nach einer einladenden Geste zu seiner Praxis hin ging er noch einmal zurück, um die zwei Frauen einzulassen. Er bat, sich noch ein wenig zu gedulden, und vertröstete die beiden mit der Aussicht auf das kühle Wartezimmer. Dort schleuste er Brunetti so rasch hindurch, daß der nur die üblichen Hochglanzmagazine wahrnahm und eine Sitzgarnitur, die wie aus einem Familiensalon entlehnt wirkte.
Das Sprechzimmer war gleichsam eine Kopie all der Arztpraxen, die Brunetti von klein auf kannte: die Behandlungsliege mit dem papierenen Schonbezug, die Vitrine mit Verbandsmull und Bandagen, der mit Papieren, Karteikarten und Arzneipackungen übersäte Schreibtisch. Das einzige, was es in den Ordinationen seiner Jugend nicht gegeben hatte, war der Computer rechts neben dem Tisch.
Er war mehr als unscheinbar, dieser Dottor Carlotti: Egal, ob man ihm ein- oder fünfmal begegnete, dem Gedächtnis würde sich nicht mehr einprägen als braune Augen hinter dunkelgerahmten Brillengläsern, sprödes, über der Stirn gelichtetes Haar von unbestimmter Farbe und ein mittelgroßer Mund.
Nachdem er Brunetti einen Stuhl angeboten hatte, blieb der Arzt mit verschränkten Armen vor dem Schreibtisch stehen. Was ihm wohl selber ungastlich erschien, denn gleich darauf ging er um den Tisch herum und nahm in seinem Sessel Platz. Er schob einige Papiere beiseite, rückte ein Reagenzglas undefinierbaren Inhalts nach links und faltete die Hände vor sich auf der freigeräumten Fläche.
»Was kann ich für Sie tun, Commissario?«
»Erzählen Sie mir etwas über Maria Battestini«, bat Brunetti ohne weitere Einleitung. »Sie haben sie doch gefunden, nicht wahr, Dottore?«
Carlotti schlug erst die Augen nieder, dann sah er zu Brunetti auf. »Ja. Ich machte einmal wöchentlich Hausbesuch bei ihr.«
Da der Arzt offenbar nichts hinzuzufügen hatte, hakte Brunetti nach: »Irgendein chronisches Leiden, Dottore?«
»Nein, nein, keineswegs. Ihr fehlte überhaupt nichts, sie war womöglich gesünder als ich. Bis auf die Knie.« Und dann überraschte er Brunetti mit der Bemerkung: »Aber das ist Ihnen wahrscheinlich schon bekannt, das heißt, falls Rizzardi die Obduktion gemacht hat. Dann wissen Sie vermutlich besser über ihre körperliche Verfassung Bescheid als ich.«
»Sie kennen Rizzardi?«
»Nicht näher. Wir gehören demselben Medizinerverband an und haben auf Tagungen oder Empfängen hie und da ein paar Worte gewechselt. Aber ich weiß, welchen Ruf er hat. Daher meine Vermutung zur Diagnose über die Signora.«
Sein Lächeln wirkte jungenhaft scheu für einen Mann, den Brunetti auf Mitte vierzig schätzte.
»Ja«, bestätigte der Commissario, »Rizzardi hat die Leiche obduziert, und sein Urteil deckt sich mit dem Ihren, nämlich daß die Signora für eine Frau ihres Alters kerngesund war.«
Der Arzt nickte, sichtlich erfreut, seine hohe Meinung von Rizzardi bestätigt zu finden. »Und was sagt er über die Todesursache?«
Brunetti sah ihn verwundert an. Wie konnte jemand, der den Leichnam gesehen hatte, eine solche Frage stellen? »Seiner Meinung nach war es ein Trauma, ausgelöst durch die Schläge auf den Hinterkopf.«
Abermaliges Nicken, wieder eine Diagnose bestätigt.
Brunetti zückte seinen Notizblock und blätterte zurück zu den Seiten mit Signora Gismondis Aussage.
»Wie lange war Signora Battestini bei Ihnen in Behandlung, Dottore?«
Carlotti antwortete ohne Zögern. »Fünf Jahre, genau gesagt seit dem Tode ihres Sohnes, für den sie ihren damaligen Hausarzt verantwortlich machte. Sie weigerte sich, seine Praxis noch einmal zu betreten. Und auf der Suche nach einem neuen Arzt geriet sie dann durch irgendeine Empfehlung an
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