Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
mich.« In seiner Stimme schwang ein leises Bedauern mit.
»Und ihre Vorwürfe gegen diesen anderen Arzt, waren die in irgendeiner Weise berechtigt?«
»Aber nein, alles Unfug. Der Sohn starb an Aids.«
Brunetti, der sich sein Erstaunen nicht anmerken ließ, fragte sachlich: »Wußte sie das?«
»Fragen Sie lieber, ob sie es geglaubt hat, Commissario. Die Antwort heißt: nein. Aber gewußt haben muß sie es.« Eine Unlogik, die beiden nicht fremd war.
»War ihr Sohn homosexuell?«
»Dazu bekannt hat er sich nicht, und mein Kollege wußte auch nichts davon, aber das ist natürlich noch kein Beweis. Er war auf jeden Fall weder Bluter noch drogenabhängig, noch hatte er je eine Transfusion, wenigstens nicht nach Kenntnis seines Hausarztes, und in der Klinik gab es auch keine entsprechenden Belege.«
»Danach haben Sie sich also erkundigt?«
»Mein Kollege. Signora Battestini hatte allen Ernstes vor, ihn wegen fahrlässiger Tötung anzuzeigen. Da wollte er zu seiner Entlastung die Ursache der Infektion ermitteln. Außerdem wäre es natürlich wichtig gewesen zu wissen, ob Paolo vielleicht seinerseits jemanden angesteckt hatte, aber sie verweigerte jede Auskunft über ihn, sogar gegenüber dem Gesundheitsamt. Auch mir versuchte sie anfangs einzureden, die Ärzte hätten ihren Jungen auf dem Gewissen, aber ich habe mich entschieden gegen solch haltlose Anschuldigungen verwahrt. Und als sie trotzdem nicht davon abließ, legte ich ihr nahe, sich einen anderen Hausarzt zu suchen. Da gab sie dann endlich Ruhe, jedenfalls soweit es mich betraf.«
»Und Sie haben nie irgendwelche Andeutungen gehört, aus denen man schließen könnte, daß der Sohn homosexuell war?«
Carlotti zuckte die Achseln. »Die Leute reden. Immerzu. Ich habe gelernt, nicht mehr viel darauf zu geben. Manche schienen ihn für schwul zu halten, andere nicht. Und als die Leute merkten, daß ihr Klatsch mich nicht interessierte, hörten sie auf, mir die Gerüchte über Paolo zuzutragen.« Er sah Brunetti an. »Ich weiß es also nicht. Mein Kollege glaubt, er war homosexuell, aber auch nur, weil es scheinbar keine andere Erklärung für seine AidsErkrankung gibt. Doch was mich betrifft, so habe ich den Mann, wie gesagt, nicht persönlich gekannt, darf mir also diesbezüglich kein Urteil erlauben.«
Brunetti ließ es dabei bewenden und fragte statt dessen: »Aber was ist mit Signora Battestini, Dottore? Wüßten Sie irgendeinen Grund, warum jemand ihr das angetan hat?«
Der Arzt schob seinen Stuhl zurück und streckte die Beine aus, ungewöhnlich lange Beine für einen Mann, der so viel kleiner war als Brunetti. Er schlug die Füße übereinander und kratzte sich mit der Hand am Hinterkopf.
»Nein, da muß ich Sie enttäuschen. Seit Ihrem Anruf - genaugenommen schon seit ich sie gefunden habe -, stelle ich mir unablässig diese Frage, aber ich kann mich auf nichts besinnen. Gewiß, sie war kein einfacher Mensch ...« Doch bevor der Arzt sich weiter in solche Platitüden flüchten konnte, fiel Brunetti ihm ins Wort.
»Bitte, Dottore! Ich habe mir ein halbes Leben lang anhören müssen, wie die Toten schöngeredet werden oder wie man zumindest der Wahrheit über sie aus dem Weg geht. Ich weiß also, was sich hinter Floskeln wie ›kein einfacher‹ ›ein schwieriger‹ oder ›eigenwilliger‹ Mensch verbirgt. Und ich darf Sie daran erinnern, daß es hier um Mord geht. Außerdem können Sie der Toten mit Worten nun wirklich nicht mehr schaden. Also vergessen Sie bitte das Gebot der Höflichkeit und erzählen Sie mir frei heraus, was Sie von ihr wissen und warum man sie umgebracht haben könnte.«
Carlotti hatte schmunzelnd zugehört. Sein Blick streifte die Tür zum Warteraum, hinter der man gedämpft die beiden Frauen aufeinander einreden hörte. »Ich denke, diese instinktive Scheu vor einer unliebsamen Wahrheit ist uns allen nicht fremd. Aber unter Ärzten ist es fast so etwas wie eine Berufskrankheit: Wir müssen ständig auf der Hut sein, damit uns nichts über einen Patienten entschlüpft, was wir eigentlich nicht preisgeben dürften.«
Als Brunetti zustimmend nickte, gab er sich einen Ruck und sagte unumwunden: »Sie war ein bösartiges altes Weib, und ich habe von niemandem ein gutes Wort über sie gehört.«
»Was genau verstehen Sie unter bösartig, Dottore?« fragte Brunetti.
Der Arzt zögerte mit der Antwort und stutzte, als hätte er noch nie darüber nachgedacht, warum diese Frau so gehässig war und was sie dazu gemacht hatte.
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