Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
übernahm.«
»Und wer war Ihr Vorgänger?« fragte Brunetti.
»Nicolò Mattucci, aber der hat sich pensionieren lassen und ist zurück nach Sizilien.«
Brunetti ließ es dabei bewenden und wechselte das Thema: »Ach, haben Sie der Signora vielleicht auch Bankbelege und dergleichen zugestellt?«
»Ja, jeden Monat«, sagte Mario und zählte die Namen der Banken auf. »Kontoauszüge und Rechnungen waren so ziemlich die einzige Post, die sie bekam, abgesehen von etlichen anderen raccomandate. «
»Und erinnern Sie sich noch, von wem die kamen?«
»Meistens aus der Nachbarschaft, von Leuten, die sich über ihren Fernseher beschwerten.« Bevor Brunetti fragen konnte, woher er das wisse, fuhr Mario fort: »Das haben die mir selber erzählt und mich bekniet, ich solle die Briefe persönlich überbringen. Alle litten unter dem Krach, aber da war nichts zu machen. Die Signora ist alt. Das heißt, sie war es, und die Polizei rührte keinen Finger. Die kann man vergessen.« Das war ihm offenbar nur so rausgerutscht, denn er entschuldigte sich hastig bei Brunetti.
Doch der Commissario blieb gelassen und ging lächelnd darüber hinweg. »Nein, nein, Sie haben ganz recht«, sagte er. »Uns sind da wirklich die Hände gebunden. Wenn jemand so eine Beschwerde durchfechten will, dann muß die zuständige Abteilung eine schalltechnische Messung vornehmen und prüfen, ob die erlaubte Dezibel-Zahl tatsächlich überschritten wird. Leider rücken die Kollegen nachts nicht aus, und wenn eine Streife, die in der Nacht alarmiert wird, erst am nächsten Morgen kommt, ist der Krach in aller Regel längst abgestellt.« Wie fast jeder venezianische Polizist war auch Brunetti mit der mißlichen Situation vertraut, für die es offenbar keine befriedigende Lösung gab.
»Und sonst? Ich meine, fällt Ihnen noch irgend etwas ein, was Sie der Signora gebracht haben?« erkundigte sich Brunetti.
»Zu Weihnachten ein paar Karten; gelegentlich - aber höchstens ein-, zweimal im Jahr - einen Brief außer den schon genannten Beschwerden. Sonst nur Rechnungen und die Bankbelege.« Bevor Brunetti etwas dazu sagen konnte, meinte Mario: »Bei den Alten ist das fast immer so. Auswärtige Freunde und Bekannte sind ihnen weggestorben, und den Hiesigen, mit denen sie von klein auf zusammenleben, haben sie nichts mitzuteilen. Außerdem möchte ich wetten, daß einige von meinen Kunden sowieso nicht lesen und schreiben können und sich die Rechnungen von ihren Kindern überweisen lassen. Nein, die Signora unterschied sich gar nicht so sehr von den anderen alten Leuten.«
»Sie haben vorhin so getan, als hätten Sie Angst, ich könnte Sie für den Mörder halten«, sagte Brunetti, während beide dem Ausgang der Bar zustrebten.
»War nicht ernst gemeint«, beantwortete der postino Brunettis unausgesprochene Frage. »Es gab allerdings eine Menge Leute, die sie nicht ausstehen konnten.«
»Aber nur, weil jemand vergißt, danke zu sagen, möchte man ihn doch nicht gleich umbringen«, wandte Brunetti ein.
»Ich fand es einen Skandal, wie sie die Frauen behandelte, die ihr den Haushalt machten, besonders die eine, die sie dann ja auch getötet hat«, sagte Mario. »Wie Sklaven hat sie die armen Dinger herumkommandiert, und wenn sie eine zum Weinen bringen konnte, was ihr allein in meiner Gegenwart mehr als einmal gelungen ist, dann war sie erst recht obenauf.«
Unterdessen waren sie vor dem Sortierraum angelangt. Mario blieb stehen und reichte Brunetti die Hand. Der Commissario dankte ihm für seine Auskünfte und wandte sich zur Treppe, die hinunter zum Rialto führte. Er war schon fast am Ausgang, als er von oben seinen Namen rufen hörte. Brunetti drehte sich um und sah Mario die Treppe herabeilen, die linke Schulter von einem prallen Lederranzen beschwert, im Schlepptau die junge Frau mit dem roten Gesicht.
»Commissario«, keuchte er atemlos und schob die junge Frau, die er buchstäblich am Arm nach vorn zerrte, vor Brunetti hin. »Das ist Cinzia Foresti. Sie hatte bis vor etwa fünf Jahren meine Route, also noch vor Nicolò. Und ich dachte mir, Sie möchten vielleicht auch mit ihr reden.«
Die junge Frau brachte ein scheues kleines Lächeln zustande, und ihr Gesicht wurde womöglich noch röter.
»Sie haben also früher die Post für Signora Battestini ausgetragen?« fragte Brunetti.
»Und für ihren Sohn«, antwortete Mario. Er tätschelte der jungen Frau aufmunternd die Schulter, sagte noch: »Na dann, ich muß los«, und wandte sich dem Ausgang
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