Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Mißachtung der Auflagen zur Giftmüllentsorgung gebührenpflichtig verwarnt worden, ohne daß dies etwas gefruchtet hätte, denn die Firma zahlte lieber die lächerlichen Bußgelder, als in neue Filtersysteme zu investieren. Die Demonstranten verlangten die Schließung des Werks und hatten versucht, die Arbeiter am Betreten des Geländes zu hindern. Dabei war es zu einem Zusammenstoß zwischen Demonstranten und Werktätigen gekommen, der die Polizei auf den Plan rief und mit sechs Festnahmen endete.
»Gehört dieser Freund zur Belegschaft oder zu den No-Global-Aktivisten?« fragte Brunetti.
»Weder noch«, entgegnete Vianello und setzte dann hinzu: »Also er ist kein organisierter No-Global. Genausowenig wie ich.« Da ihm diese Erklärung offenbar selbst unzulänglich schien, atmete Vianello tief durch und begann noch einmal von vorn. »Marco und ich, wir sind zusammen zur Schule gegangen, aber danach hat er studiert und wurde Ingenieur. Er hat sich schon immer für die Umwelt interessiert, und bei Öko-Versammlungen und dergleichen sind wir uns dann auch wieder über den Weg gelaufen. Manchmal gehen wir im Anschluß an ein Treffen noch zusammen in die Bar.«
Brunetti unterließ es, sich näher nach diesen Zusammenkünften zu erkundigen. Und der Inspektor fuhr fort: »Marco macht sich große Sorgen wegen der unsauberen Praktiken in diesem Werk. Und natürlich in Marghera. Ich weiß, daß er auch dort an Demos teilgenommen hat, aber mit so was wie gestern hatte er noch nie zu tun.«
»Was meinst du?«
»Na, die tätlichen Ausschreitungen.«
»Davon wußte ich gar nichts«, sagte Brunetti. Die Zeitung hatte nur über die Festnahmen berichtet, von Handgreiflichkeiten oder gar Prügeleien war nicht die Rede gewesen. »Was ist denn passiert?« erkundigte er sich. »Und wer hat angefangen?« Er wußte, was die Befragten darauf unweigerlich antworteten, egal, ob sie für sich selbst sprachen oder für ihre Freunde: Schuld war immer die gegnerische Partei.
Vianello lehnte sich zurück und schlug die Beine wieder übereinander. »Das weiß ich nicht. Ich habe nur mit seiner Frau gesprochen. Das heißt, sie hat heute früh angerufen und gefragt, ob ich ihm nicht irgendwie helfen könne.«
»Was denn, erst heute?« fragte Brunetti.
Vianello nickte. »Marco hat gestern abend aus dem Gefängnis in Mestre mit ihr telefoniert und sie gebeten, mich zu verständigen; aber nicht vor heute morgen. Sie hat mich gerade noch erreicht, bevor ich aus dem Haus mußte.« Und auf Brunettis Frage zurückkommend, fuhr Vianello fort: »Ich weiß also nicht, wer angefangen hat. Es könnten die Arbeiter gewesen sein oder vielleicht auch ein paar von den No-Globals.«
Daß Vianello diese Möglichkeit einräumte, verblüffte Brunetti.
»Aber Marco war's bestimmt nicht«, beteuerte jener. »Der ist absolut friedlich und würde sich mit niemandem anlegen. Es gibt allerdings auch Leute, die zu solchen Demos gehen, um - na ja, die wollen da ihren Spaß haben.«
»Eine merkwürdige Auffassung von ›Spaß‹.«
Vianello hob die Hand und ließ sie wieder sinken. »Ich weiß, aber manche von denen sehen es eben so. Marco hat solche Typen erwähnt. Sagt, er mag sie nicht und hat sie auch nicht gern bei einer Demo dabei, weil mit ihnen das Risiko, daß es zu Ausschreitungen kommen könnte, natürlich steigt.«
»Kennt er diese Randalierer persönlich?« fragte Brunetti.
»Weiß ich nicht, gesagt hat er nur, daß sie ihn nervös machen.«
Brunetti beschloß, das Gespräch zum Ausgangspunkt zurückzulenken. »Aber was wolltest du jetzt eigentlich von mir?«
»Du kennst doch die Kollegen in Mestre. Besser als ich jedenfalls. Und auch die Richter, wobei ich nicht weiß, wem der Fall zugeteilt wurde. Könntest du nicht mal anrufen und sehen, was du in Erfahrung bringst?«
»Und kannst du mir erklären, warum du das nicht machst?« Die Frage klang so, wie sie gemeint war: eine Bitte um Information und nicht etwa als Empfehlung, Vianello möge die Sache selbst in die Hand nehmen.
»Weil ich glaube, es macht sich besser, wenn die Anfrage von einem Commissario kommt.«
Nach kurzem Überlegen stimmte Brunetti zu. »Ja, mag sein. Weißt du, wie die Anklage lautet?« fragte er.
»Nein. Ich tippe auf Ruhestörung oder Behinderung eines Beamten in Ausübung seiner Dienstpflicht. Marcos Frau hat sich nicht dazu geäußert. Und ich habe sie gebeten, nichts zu unternehmen, bis ich mit dir gesprochen habe. Ich dachte, du oder wir könnten vielleicht
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