Brunetti 15 - Wie durch ein dunkles Glas
Klassenkameraden, der ein halbes Jahr als maestro in der Glasbläserei von Giovanni De Cal, dem tobsüchtigen Alten vor der Questura, gearbeitet hatte, bevor er dort kündigte und zu einer anderen fornace wechselte. Am Beginn stand eine typische Liebesromanze von Herzklopfen bis Hochzeitsglocken: Sie, De Cals Tochter, ließ auf dem Rialto eine Tüte voll Orangen fallen, ein Fremder, der gerade Garnelen kaufte, jagte den Früchten nach und sammelte sie wieder ein. Sie bedankte sich lachend und lud ihn auf einen Kaffee ein, über dem sie sich dann eine Stunde lang unterhielten. Anschließend begleitete er sie zu ihrem Boot, ließ sich ihre Handynummer geben, rief wenig später an und bat sie, mit ihm ins Kino zu gehen, und vier Monate später zogen sie zusammen. Ihr Vater war strikt dagegen, weil er den jungen Mann für einen Mitgiftjäger hielt. Assunta, die nie besonders hübsch gewesen und inzwischen auch nicht mehr jung war, kannte kein anderes Leben als ihre Arbeit in der väterlichen Glasbläserei. Wer würde eine solche Frau begehren, außer um ihres Geldes willen? Dahinter verbarg sich die weniger offen geäußerte Frage, wer sich, falls die Tochter gar eine eigene Familie gründete und ihn verließ, um ihn kümmern würde, einen Witwer, allein in einer Zehn-Zimmer-Villa und zu sehr von seinen Geschäften in Anspruch genommen, um für sich selbst sorgen zu können.
Liebe Leser, sie hat ihn geheiratet. Aber der Konflikt spitzte sich zu, als die Prinzipien und politischen Ansichten des jungen Mannes, seine Sorge um die Umwelt und das Mißtrauen gegen die augenblickliche Regierung auf die Philosophie seines Schwiegervaters prallten. In De Cals Welt regierte die Maxime »Fressen und gefressen werden«; Arbeiter waren zum Arbeiten da und hatten nicht auf der faulen Haut zu liegen, geschweige denn von ihren Brötchengebern auch noch Geld fürs Nichtstun zu kassieren; Produktionssteigerung und Umsatzwachstum waren immer willkommen - je mehr, desto besser.
Vollends ein rotes Tuch waren für den Alten Ausbildung und Beruf des jungen Mannes. Nicht genug damit, daß er einen Universitätsabschluß hatte, also zu diesen nutzlosen dottori gehörte, die alles studiert, aber von nichts eine Ahnung haben; nein, der Herr Ingenieur verschlimmerte das Übel noch, indem er ausgerechnet bei der Firma anheuerte, die die Ausschreibung zum Bau von Mülldeponien im Veneto gewonnen hatte und in deren Auftrag er nun Standortanalysen erstellte, den Abstand der Industrieanlagen zu fließenden Gewässern sowie den Grundwasserspiegel und die Bodenbeschaffenheit untersuchte. Er schrieb Gutachten, die bereits geplante Deponien verhinderten, und solche, die den Bau der Anlagen verteuerten - und finanziert wurde das Ganze mit dem Geld, das man ehrbaren Leuten wie De Cal aus der Tasche zog, fleißigen Unternehmern, die Steuern zahlten, auf daß Faulpelze und Schwächlinge weiter am Tropf des Sozialstaats hängen und windige Ingenieure den Kommunen Geld abpressen konnten, nur damit ein paar Fische und andere Viecher sich nicht dreckig machten oder einen Schnupfen kriegten.
Ribetti und seine Frau, Assunta De Cal, bewohnten ein Haus auf Murano, das Assunta von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie, die gewissermaßen als Puffer zwischen Vater und Ehemann stand, bemühte sich, das Haus in Ordnung und die beiden Streithähne auseinanderzuhalten, was, da sie den ganzen Tag in der väterlichen Firma arbeitete, beides nicht leichtfiel. Giovanni De Cal war, wie Brunetti und Vianello bezeugen konnten, ein Choleriker; seine fornace auf Murano befand sich seit sechs Generationen in Familienbesitz.
An dieser Stelle unterbrach Vianello seine Erzählung und meinte: »Also, wenn ich mich hier so reden höre, wundert es mich, woher ich soviel über die beiden weiß. Bestimmt nicht alles von Pietro aus seiner Zeit bei De Cal. Und Marco und ich, wir sind zwar zusammen zur Schule gegangen, aber danach hatten wir uns bis vor drei Jahren ganz aus den Augen verloren. Daß ich trotzdem so gut auf dem laufenden bin, ist mir ein Rätsel. Schließlich sind wir keineswegs dick befreundet, und über seinen Schwiegervater hat er sich nie geäußert.« Während Vianello so vor sich hin sinnierte, passierten sie den Ponte della Libertà, und dem Inspektor, der im Fond des Wagens saß, war es, als sähe er Brunettis Kopf von den Schornsteinen Margheras umrahmt.
Brunetti schloß aus Vianellos Verwunderung, daß der Inspektor sich seiner Gabe, Menschen ins Gespräch zu ziehen und
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