Brunetti 18 - Schöner Schein
später brachte Paola den Kaffee ins Wohnzimmer. Sie reichte ihm eine Tasse und sagte: »Zucker ist schon drin«, und setzte sich neben ihn. Der zweite Teil des Gazzettino lag aufgeschlagen auf dem Tisch, wo Brunetti ihn hingelegt hatte, und Paola erkundigte sich mit einer Kopfbewegung in seine Richtung: »Was hat die Zeitung uns heute zu offenbaren?«
»Gegen zwei Mitglieder der Stadtverwaltung wird wegen Korruption ermittelt«, sagte Brunetti und schlürfte seinen Kaffee.
»Das heißt, alle anderen lässt man laufen? Warum nur?« »Die Gefängnisse sind überfüllt.«
»Aha.« Paola trank ihren Kaffee aus. Sie stellte die Tasse hin und sagte: »Ich bin froh, dass du nicht noch Öl in Chiaras Feuer gegossen hast.«
»Ich hatte nicht den Eindruck«, erwiderte Brunetti und stellte seine Tasse auf das Gesicht des Ministerpräsidenten, »dass man da noch nachhelfen musste.« Er lehnte sich zurück, dachte ein wenig über seine Tochter nach und sagte: »Ich bin froh, dass sie so wütend ist.«
»Ich auch«, bekräftigte Paola, »aber ich finde, wir sollten uns unsere eigene Empörung nicht so deutlich anmerken lassen.«
»Meinst du wirklich? Immerhin hat sie das doch wohl von uns.«
»Ich weiß«, räumte Paola ein, »aber es ist doch klüger, dass sie es nicht merkt.« Nach einem forschenden Blick in seine Miene fügte sie hinzu: »Ehrlich gesagt, ich bin überrascht, dass du ihrer Meinung bist; also, sie so ohne weiteres gewähren lässt.«
Sie tätschelte seinen Oberschenkel. »Du hast sie schwadronieren lassen, dabei konnte ich dir ansehen, wie du innerlich ihre logischen Fehler registriert hast.« »Deine rhetorische Lieblingsfigur: argumentum ad absurdum«, sagte Brunetti mit unverhohlenem Stolz.
Paola bedachte ihn mit einem besonders einfältigen Grinsen. »Die sind mir eine Herzensangelegenheit, diese Argumente.«
»Meinst du, wir tun das Richtige?«, fragte Brunetti. »Was tun wir denn?«
»Die Kinder dazu erziehen, dass sie so clever argumentieren können?«
Brunetti versuchte das so leichthin wie möglich zu sagen, konnte aber seine echte Besorgnis nicht ganz verbergen. »Für einen, der es nicht so mit Logik hat, hört sich das doch an, als meinten sie es sarkastisch, und so etwas mögen die Leute nicht.«
»Besonders wenn sie es aus dem Mund eines Teenagers hören«, ergänzte Paola. Und wie um seine Befürchtungen zu zerstreuen: »Nur sehr wenige Leute hören bei den Argumenten der anderen richtig zu. Also brauchen wir uns vielleicht keine großen Sorgen zu machen.«
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte sie: »Ich habe heute mit meinem Vater gesprochen; er sagt, ihm bleiben noch drei Tage, sich in der Sache mit Cataldo zu entscheiden. Er wollte wissen, ob du inzwischen etwas über ihn herausgefunden hast.«
»Nein, nichts«, sagte Brunetti und verkniff sich die Bemerkung, es sei noch keinen Tag her, dass man ihn darum gebeten habe.
»Soll ich ihm das sagen?«
»Nein. Signorina Elettra weiß schon Bescheid und wird sich darum kümmern.« Obwohl er wusste, wie oft er diese Ausrede schon gebraucht hatte, bemerkte er vage: »Es ist noch etwas dazwischengekommen. Aber bis morgen hat sie vielleicht was.« Erst nach längerem Schweigen fragte er: »Spricht deine Mutter viel von ihnen?«
»Von den beiden?« »Ja.«
»Ich weiß, dass er es kaum erwarten konnte, sich von seiner ersten Frau scheiden zu lassen.« Ihre Stimme war ein Vorbild an Neutralität.
»Wann war das?«
»Das ist mehr als zehn Jahre her. Er war über sechzig.« Brunetti dachte, Paola sei fertig, aber nach einer Pause, die durchaus beabsichtigt sein mochte, fuhr sie fort: »Und sie war noch keine dreißig.«
»Aha.« Mehr ließ er sich nicht entlocken.
Bevor ihm einfiel, wie er sie nach Franca Marinello ausfragen könnte, kam Paola auf das ursprüngliche Thema zurück: »Mein Vater erzählt mir nichts von seinen Geschäften, aber er interessiert sich für China, und ich denke, er sieht hier eine Möglichkeit, da einzusteigen.«
Brunetti lag nichts daran, die Debatte über die ethischen Aspekte einer Investition in China noch einmal aufzuwärmen. »Und Cataldo?«, fragte er. »Was sagt dein Vater über ihn?«
Sie tätschelte ihm freundlich den Schenkel, als sei Franca Marinello aus dem Zimmer verschwunden. »Nicht viel, jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Die beiden kennen sich seit langem, aber soweit ich weiß, haben sie nie zusammengearbeitet. Ich glaube nicht, dass sie viel füreinander übrighaben, aber hier geht es
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