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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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und sich, sobald die Kugel seine Hand verließ, dem Kessel zuwandten.
    Paola stand neben ihm und drückte seinen Arm, als die Kugel ins Fach Nummer sieben fiel und sein Jeton mit vielen anderen im schmalen Schlitz des Vergessens verschwand; sie schien so niedergeschlagen, als hätte er nicht zehn, sondern zehntausend Euro verloren. Nach einigen weiteren Spielen wichen sie dem stumpfsinnigen Drängen der Leute hinter ihnen, die es nicht erwarten konnten, auch einmal zu verlieren.
    Sie gerieten an einen anderen Tisch und sahen unbeteiligt eine Viertelstunde lang zu, wie das Glück hin- und herwogte. Brunetti wurde auf einen sehr jungen Mann aufmerksam - er konnte nicht viel älter als Raffi sein -, der ihnen am Tisch direkt gegenüber stand. Jedes Mal, unmittelbar bevor der Croupier »Nichts geht mehr« sagte, schob er einen Stapel Jetons auf die Nummer zwölf, und jedes Mal verlor er.
    Brunetti beobachtete das noch jugendlich weiche Gesicht. Die Lippen des jungen Mannes waren voll und glänzend wie die Lippen von Caravaggios wilden Heiligen. Seine Augen jedoch, die hätten funkeln sollen - wenn auch nur vor Schmerz über den wiederholten Verlust -, waren so entrückt und stumpf wie die einer Statue. Nicht ein einziges Mal sah er nach den Haufen seiner Jetons, die er wahllos stapelte und nach vorne schob: rote, gelbe und blaue. Auf diese Weise setzte er nie denselben Betrag, auch wenn der Jetonstapel immer etwa gleich hoch war: zehn Jetons, schätzungsweise.
    Er verlor noch mehrmals, und als keine Jetons mehr vor ihm lagen, griff er in seine Jackentasche und zog eine weitere Faustvoll hervor, die er nachlässig auf den Tisch vor sich streute, ohne sie anzusehen und sich die Mühe zu machen, sie nach ihrem Wert zu sortieren.
    Plötzlich fragte sich Brunetti, ob der Junge womöglich blind war und sich beim Spielen nur nach Tastsinn und Gehör richtete. Er beobachtete ihn unter dieser Voraussetzung noch etwas länger, aber dann sah der Junge zu ihm herüber, und sein Blick drückte so frostiges Missfallen aus, dass Brunetti sich abwenden musste, als habe er jemanden bei einer obszönen Handlung ertappt.
    »Komm weg von hier«, hörte er Paola sagen, während sie ihn nicht allzu sanft am Ellbogen packte und in den freien Raum zwischen den Tischen zog. »Ich kann den Anblick dieses Jungen nicht ertragen«, sprach sie aus, was er dachte.
    »Komm«, sagte er, »ich geb dir einen aus.«
    »Oh, mein Kavalier«, schwärmte sie und ließ sich an die Bar führen, wo er sie zu einem Whisky überredete, etwas, das sie selten trank, weil es ihr nicht schmeckte. Er reichte ihr das schwere eckige Glas, stieß mit ihr an und sah zu, wie sie den ersten kleinen Schluck nahm. Ihr Mund zog sich vielleicht ein wenig zu melodramatisch zusammen. »Ich weiß nicht, warum ich mich immer wieder von dir beschwatzen lasse, dieses Zeug zu trinken.«
    »Das sagst du, wenn ich mich recht erinnere, seit neunzehn Jahren, seit wir zum ersten Mal in London waren.«
    »Aber du versuchst mich immer noch zu bekehren«, erwiderte sie und nahm noch einen Schluck.
    »Du trinkst jetzt Grappa, oder?«, fragte er freundlich.
    »Ja, aber Grappa mag ich. Das hier«, sagte sie und schwenkte ihr Glas, »schmeckt wie Farbverdünner.«
    Brunetti trank seinen Whisky aus und stellte das Glas auf den Tresen; er bat den Kellner um einen grappa di moscato und nahm sich Paolas Whisky.
    Falls er Protest erwartet hatte, wurde er enttäuscht; sie bedankte sich lediglich bei dem Barmann für ihren Grappa. Mit einem Blick zurück in den Raum, den sie soeben verlassen hatten, erklärte sie: »Ich finde es deprimierend, diesen Leuten zuzusehen. Dante schildert solche Seelen.« Sie nippte an dem Grappa und fragte: »Geht es in Bordellen lustiger zu?«
    Brunetti hustete und spuckte den Whisky ins Glas zurück. Er stellte das Glas auf den Tresen, nahm sein Taschentuch und wischte sich die Lippen ab. »Verzeihung?«
    »Im Ernst, Guido«, sagte sie leichthin. »Ich war noch nie in einem, und ich frage mich, ob es wenigstens dort irgendwem gelingt, sich ein bisschen zu vergnügen.«
    »Und da fragst du mich?« Unsicher, welchen Ton er anschlagen sollte, brachte er eine Mischung aus Belustigung und Entrüstung zustande.
    Paola nippte nur schweigend an ihrem Grappa, und schließlich sagte Brunetti: »Ich war in zwei, nein, drei.« Er machte dem Barkeeper ein Zeichen, dass er noch einen Drink brauchte.
    Als der dritte Whisky kam, sagte Brunetti: »Das erste Mal war zu meiner Zeit in

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