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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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als ob wir uns amüsieren.«
    »Soll das heißen, wir werden uns gar nicht wirklich amüsieren?«
    »Kannst du dich amüsieren, wenn du anderen Leuten dabei zusiehst, wie sie beim Spiel Geld verlieren?« »Nicht alle verlieren«, sagte er.
    »Und nicht jeder, der vom Dach springt, bricht sich ein Bein«, gab sie zurück.
    »Was soll das denn heißen?«
    »Dass das Casinò Geld scheffelt, und es scheffelt Geld, weil Leute es verlieren. Beim Spiel. Vielleicht verlieren sie nicht jeden Abend, aber am Ende verlieren sie immer.«
    Brunetti überlegte, ob er sich noch ein kleines Glas Grappa genehmigen sollte, verzichtete dann aber mannhaft darauf und sagte: »Na schön. Können wir uns trotzdem amüsieren?«
    »Aber erst morgen Abend«, antwortete sie.
    Brunetti wollte sein Glück versuchen und hoffte, irgendjemand im Casinó werde den Mann auf dem Foto erkennen, das Paola aus der Universität nach Hause mitgebracht hatte, obwohl Göttin Fortuna unter diesen Umständen vielleicht die falsche Adresse war, da sie zweifellos andere, dringendere Aufträge zu erledigen hatte. Ihm war auch bewusst, dass er, selbst wenn es ihm gelang, die Identität des jungen Mannes oder gar den Mann selbst zu ermitteln, allenfalls noch sein Vorstrafenregister überprüfen konnte, dann aber die Information an Guarino weitergeben musste. Auch wenn jetzt wieder die Rechten das Land regierten, war es immer noch kein Verbrechen, sich fotografieren zu lassen.
    Gewiss, Brunetti kam als Privatmann und in Begleitung seiner Frau, aber immerhin hatte er vor etlichen Jahren zwei polizeiliche Ermittlungen gegen das Casinó geleitet und würde daher bestimmt nicht unbemerkt bleiben.
    Der Mann an der Rezeption erkannte ihn sofort, doch offenbar trug ihm die Verwaltung nichts nach, und er wurde als vif empfangen, schlug jedoch den Gratis-Jeton aus. Er kaufte welche für fünfzig Euro und gab die Hälfte davon Paola.
    Er war seit Jahren nicht mehr hier gewesen, nicht mehr, seit er den Direktor verhaftet hatte. Viel hatte sich nicht verändert. Er erkannte einige Croupiers wieder, von denen zwei damals unter dem Vorwurf festgenommen worden waren, sie hätten das System organisiert, mit dem das Casinó um eine niemals genau ermittelte Summe betrogen worden war, vielleicht Millionen, mit Sicherheit aber einige hunderttausend Euro. Angeklagt, überführt, verurteilt und jetzt wieder an ihrem alten Arbeitsplatz als Croupiers. Sie waren schließlich Beamte. Dass er Paola an seiner Seite hatte, half Brunetti wenig; er ahnte, dass er sich nicht sehr amüsieren würde.
    Sie gingen zum Roulette, dem einzigen Spiel, dem Brunetti sich gewachsen fühlte: Da musste man weder Karten mitzählen noch irgendwelche Wahrscheinlichkeiten ausrechnen. Geld hinlegen. Gewinnen. Verlieren.
    Im Näherkommen musterte er die Leute an einem der Tische, auf der Suche nach dem Gesicht, das er nur von einem Foto im Dreiviertelprofil kannte. Das Foto war am Morgen ohne Erklärung, wann, wo und von wem es gemacht worden war, eingetroffen und nicht besonders gut. Vielleicht mit einem telefonino aufgenommen, zeigte es einen glattrasierten Mann, der Anfang dreißig sein mochte. Er stand in einer Bar, eine Kaffeetasse in der Hand, und sprach mit jemandem, der auf dem Bild nicht zu sehen war. Er hatte kurzes dunkles Haar, ob braun oder schwarz, war bei der schwachen Auflösung des Bildes nicht zu erkennen. Nur ein Wangenknochen war sichtbar, und eine Augenbraue, die so schräg stand, wie man es sonst nur bei Zeichentrickfiguren sah. Er war mittelschwer, über die Körpergröße konnte man nichts Genaues sagen. Auch die Qualität seiner Kleidung war nicht zu erkennen: Krawatte, Jackett, helles Hemd.
    Brunetti und Paola standen eine Weile am Außenrand des Ovals von Leuten um den Tisch, sie alle angezogen von der Magie des kreisenden Kessels und dem Klicken und Klappern der herumwirbelnden Kugel. Blieb sie schließlich mit einem gedämpften Klacken liegen, folgte Schweigen. Kein Verlust rief Stöhnen hervor, kein Gewinn wurde kommentiert. Wie leidenschaftslos diese Leute sind, dachte Brunetti, wie fade ihre Freude ist.
    Von den unerbittlichen Gezeiten des Spiels erfasst, wurden einige Verlierer vom Tisch weg- und aus dem Oval herausgespült; andere strömten nach und nahmen deren Plätze ein, darunter auch Brunetti und Paola. Ohne hinzusehen, wo sein Jeton landete, warf Brunetti einen auf den Tisch. Er beobachtete die Gesichter auf der anderen Seite, die alle gespannt auf den Croupier gerichtet waren

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