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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Neapel.
    Ich musste den Sohn der Betreiberin verhaften. Er wohnte dort, als er an der Universität studierte.«
    »Was hat er studiert?«, fragte sie, genau wie er erwartet hatte.
    »Betriebswirtschaft.«
    »Natürlich«, sagte sie lächelnd. »Und hat sich dort jemand vergnügt?«
    »Darauf habe ich nicht geachtet. Ich bin mit drei anderen Männern da rein, und wir haben ihn festgenommen.«
    »Weswegen?«
    »Mord.«
    »Und die anderen Male?«
    »Einmal in Udine. Ich musste eine der Frauen befragen, die dort arbeiteten.«
    »Warst du dort während der Geschäftszeiten?«, fragte sie, ein Ausdruck, der ein Bild von Frauen heraufbeschwor, die dort hineinkamen und ihre Stechkarten stempelten, ihre Netzstrümpfe und Stöckelschuhe aus dem Spind nahmen, regelmäßige Kaffeepausen hatten und rauchend, plaudernd und essend um einen Tisch herum saßen.
    »Ja«, sagte er, als ob drei Uhr morgens eine normale Arbeitszeit war.
    »Hat sich jemand vergnügt?«
    »Es war wohl zu spät nachts, um das zu erkennen«, sagte er. »Fast alle haben geschlafen.«
    »Auch die Frau, die du befragen wolltest?« »Es stellte sich heraus, dass sie die Falsche war.« »Und das dritte Mal?«
    »Das war ein Fall in Pordenone«, sagte er sehr distanziert. »Aber jemand hatte sie telefonisch vorgewarnt, und es war niemand da, als wir eintrafen.« »Ach«, sagte sie reizend enttäuscht. »Das hätte mich so sehr interessiert.«
    »Tut mir leid, dass ich nicht weiterhelfen kann.«
    Sie stellte ihr leeres Glas auf den Tresen, richtete sich auf die Zehenspitzen auf und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wenn ich's mir recht überlege, bin ich ziemlich froh, dass du das nicht kannst«, sagte sie. »Gehen wir wieder rein und verlieren den Rest unseres Geldes?«

12
    S ie gingen wieder hinein, hielten sich aber hinter den dicht umlagerten Tischen; beide interessierten sich mehr für die Spieler selbst als für ihre Gewinne oder Verluste. Der junge Mann schien an den Tisch gefesselt wie die heilige Katharina von Alexandrien aufs Rad. Brunetti fand den Anblick so unendlich traurig, dass er es kaum mehr ertragen konnte. Was wollte der Junge hier? Er sollte Mädchen nachlaufen, irgendeine Fußballmannschaft anfeuern oder einer wilden Rockband zujubeln, auf Berge steigen, etwas tun - irgendetwas Ausschweifendes, Überstürztes und Törichtes, das seine jugendlichen Kräfte aufbrauchte und schöne Erinnerungen hinterließ.
    Er nahm Paola beim Ellbogen und zog sie fast ein wenig unhöflich in den nächsten Raum, wo Leute um einen ovalen Tisch herumsaßen und verstohlen unter ihre Karten spähten. Brunetti dachte an die Kneipen seiner Jugend, wo raubeinige Arbeiter nach der Arbeit zusammenkamen, um endlos scopa zu spielen. Er erinnerte sich an die winzigen Bechergläser, an den dunklen, fast schwarzen Rotwein darin, den die Männer zwischen den Partien in kleinen Schlucken tranken. Der Flüssigkeitspegel schien nie zu sinken, auch konnte Brunetti sich nicht erinnern, dass irgendeiner von ihnen jemals mehr als ein Glas am Abend bestellt hatte. Sie spielten mit Hingabe, trumpften so mächtig auf, dass die Tischbeine wackelten, und reckten sich jubelnd vor, wenn sie den Gewinn des Abends einstrichen. Was mochte das damals gewesen sein, hundert Lire, gerade genug, um den Wein der Mitspieler zu bezahlen?
    Er erinnerte sich an die aufmunternden Rufe der Männer am Tresen, die Billardspieler, die, auf ihre Queues gestützt, diesen Männern bei ihrem ganz anderen Spiel zusahen und ständig ihre Kommentare abgaben. Einige der Männer am Tisch hatten sich das Gesicht gewaschen und ihr gutes Jackett angezogen; andere kamen direkt von der Arbeit und trugen noch ihre dunkelblauen Overalls und schweren Stiefel. Was war aus diesen Kleidern und Stiefeln geworden? Und was war aus all den Männern geworden, die zum Arbeiten noch Körper und Hände gebraucht hatten? Hatte man sie durch die aalglatten Typen ersetzt, die exklusive Geschäfte und Boutiquen führten und allesamt aussahen, als würden sie unter einem schweren Paket oder einem heftigen Windstoß zusammenbrechen?
    Paola legte ihm einen Arm um die Hüfte. »Wie lange müssen wir das noch mitmachen?«, fragte sie. Er sah auf seine Uhr: schon nach Mitternacht. »Vielleicht war er nur an diesem einen Abend hier«, meinte sie und versuchte erfolglos, ein Gähnen zu unterdrücken.
    Brunetti ließ seinen Blick über die Köpfe der Leute an den Tischen schweifen. Die könnten jetzt alle im Bett sein und lesen, sie könnten im

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