Brunetti 18 - Schöner Schein
antun, Commissario. Schließlich sind wir hier im verschlafenen alten Venedig, oder?«
Wieder nahmen Brunettis Lippen Kontakt mit seinen Knöcheln auf. »Sehr richtig. Das sollten Sie stets beherzigen, Alvise. Immer mit der Ruhe. Versuchen Sie erst einmal wieder ins alte Gleis zu kommen. Die anderen brauchen vielleicht eine Weile, um sich darauf einzustellen, aber das wird schon werden. Vielleicht könnten Sie Riverre heute Nachmittag auf einen Drink einladen und ihn fragen, was in der Zwischenzeit passiert ist, das wird Ihnen helfen, wieder den Anschluss zu finden. Sie waren doch immer gute Freunde, Sie beide?«
»Ja, Signore. Aber das war, bevor ich beför ... bevor ich den Auftrag bekommen hatte.«
»Na, laden Sie ihn trotzdem ein. Gehen Sie mit ihm zu Sergio. Ein Gespräch unter Männern. Lassen Sie sich Zeit. Wenn Sie erst mal ein paar Tage zusammengearbeitet haben, wird ihm das die Sache sicher erleichtern«, sagte Brunetti und nahm sich vor, Vianello zu bitten, dafür zu sorgen, dass die beiden wieder zusammen auf Streife gingen. Zum Teufel mit der Vorstellung, man könnte die Polizeiarbeit in der Stadt effizienter machen.
Alvise baute sich zu seiner ganzen Größe auf, und Brunetti ließ sich aus Mitleid zu einem »Willkommen zu Hause, Alvise« hinreißen.
»Ich danke Ihnen, Signore«, sagte Alvise und erhob sich. »Ich gehe gleich runter und frage ihn.«
»Gut«, sagte Brunetti lächelnd und registrierte erleichtert, dass Alvise fast schon wieder ganz der Alte war.
Der Sergente nahm Haltung an und salutierte zackig. »Danke, Signore. Es ist schön, wieder hier zu sein.«
11
D ie Questura und der Ermordete, den er nie gesehen hatte, beschäftigten Brunetti noch beim Abendessen. Paola bekam das zu spüren, denn er fand keine lobenden Worte für ihre coda di rospo mit Scampi und Tomaten und aß auch nicht viel davon, und eine dritte Flasche Gramine ließ er unberührt stehen, um sich zum Lesen ins Wohnzimmer zurückzuziehen.
Als Paola sich nach ausgiebigem Geschirrspülen zu ihm gesellte, stand er am Fenster und schaute nach dem Engel auf dem Campanile von San Marco im Südosten. Sie stellte den Kaffee auf den Sofatisch. »Möchtest du dazu einen Grappa, Guido?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf, blieb aber stumm. Sie trat neben ihn, und als er nicht daran dachte, seinen Arm um sie zu legen, gab sie ihm einen freundlichen Schubs mit der Hüfte. »Was ist los?«
»Es kommt mir nicht richtig vor, dich da reinzuziehen«, sagte er schließlich.
Sie setzte sich aufs Sofa und nahm einen Schluck Kaffee. »Ich hätte durchaus nein sagen können.«
»Hast du aber nicht«, sagte er, bevor er neben ihr Platz nahm.
»Worum geht es denn überhaupt?«
»Um den Mann, der in Tessera ermordet wurde.«
»Das weiß ich auch aus der Zeitung, Guido.«
Brunetti griff nach seiner Kaffeetasse. »Weißt du was«, sagte er nach dem ersten Schluck. »Ich könnte doch einen Grappa vertragen. Ist noch was von dem Gaja übrig? Dem Barolo?«
»Ja«, sagte sie und rückte sich auf dem Sofa zurecht. »Bring mir auch ein Glas, bitte.«
Gleich darauf kam er mit der Flasche und zwei Gläsern zurück, und während sie tranken, wiederholte Brunetti das meiste von dem, was Guarino ihm erzählt hatte, um mit dem Foto zu endigen, das sie am nächsten Tag per E-Mail erhalten würde. Er versuchte ihr auch seinen inneren Widerstreit begreiflich zu machen, weil Guarino ihn in diese Ermittlungen hineingezogen hatte. Die Sache gehe ihn gar nichts an, dafür seien die Carabinieri zuständig. Vielleicht habe es ihm geschmeichelt, dass man ihn um Hilfe gebeten habe, und seine Reaktion unterscheide sich in nichts von dem Dünkel, mit dem Patta sich für »den Verantwortlichen« halte. Oder vielleicht wolle er auch nur beweisen, dass er etwas zustande bringen konnte, wozu die Carabinieri nicht fähig waren.
»Nur ein Foto wird es Signorina Elettra nicht leichter machen, ihn zu finden«, räumte Brunetti ein. »Aber ich wollte Guarino dazu bringen, etwas zu tun, auch wenn es nur darauf hinauslief, dass er zugab, mich belogen zu haben.«
»Er hat Informationen zurückgehalten«, korrigierte ihn Paola.
»Na schön, wenn du darauf bestehst«, lenkte Brunetti lächelnd ein.
»Und er will, dass du ihm hilfst herauszufinden, ob jemand, der in der Nähe von San Marcuola lebt, was genau getan haben könnte?«
»Ich nehme an, es geht um Gewaltkriminalität. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass Guarino den Mann auf dem Foto für den Mörder
Weitere Kostenlose Bücher