Brunetti 18 - Schöner Schein
kaum noch etwas übrig. Es war ein sonniger Tag hier oben im Friaul, aber sie blinzelte nicht nur wegen der Sonne. Regelmäßige Züge, unauffällige Nase - nur die Frisur und der gequälte Ausdruck prägten sich ein.
Er gab ihr die Hand. »Ich schlage vor, wir gehen irgendwo hin und reden«, sagte sie. Ihre angenehme Stimme hatte einen leicht aspirierenden Akzent. Vielleicht aus der Toskana.
»Gute Idee«, antwortete Brunetti. »Ich kenne mich hier nicht besonders aus.«
»Hier gibt's leider auch nicht viel zu kennen«, sagte sie und stieg ein. Als sie beide angeschnallt waren, ließ sie den Motor an und sagte: »Es gibt ein Restaurant nicht weit von hier.« Schaudernd fügte sie hinzu: »Es ist zu kalt, um draußen zu sitzen.«
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte Brunetti.
Sie fuhren durchs Stadtzentrum. Brunetti fiel ein, dass Pasolini hier aufgewachsen war, in Schimpf und Schande von hier geflohen und nach Rom gegangen war. Als sie durch die engen Straßen fuhren, dachte er, welch ein Glück für Pasolini, dass man ihn aus dieser Friedhofsruhe vertrieben hatte. Wie konnte man nur an einem solchen Ort leben?
Schließlich gelangten sie auf eine Autobahn, die links und rechts von Wohn- und Geschäftshäusern und Industriegebäuden gesäumt war. Kein Laub an den Bäumen. Wie öde der Winter hier oben ist, dachte Brunetti. Und dann stellte er sich vor, wie öde die anderen Jahreszeiten sein mochten.
Brunetti war kein Fachmann und konnte nicht beurteilen, ob sie gut fuhr oder nicht. Sie bogen mehrmals ab, durchfuhren Kreisel, kamen auf schmalere Straßen. Nach wenigen Minuten hatte er völlig die Orientierung verloren, und selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte, er hätte nicht mehr sagen können, in welcher Richtung der Bahnhof lag. Sie fuhren an einem kleinen Einkaufszentrum mit einem großen Optikergeschäft vorbei und dann wieder eine Allee mit kahlen Bäumen hinunter. Und schließlich nach links auf einen Parkplatz.
Dottoressa Landi zog den Zündschlüssel und stieg wortlos aus. Tatsächlich hatte sie seit Beginn der Fahrt nichts mehr gesagt, und Brunetti war ebenso stumm geblieben und hatte nur auf ihre Hände und die kümmerliche Landschaft geachtet.
Drinnen führte ein Kellner sie zu einem Ecktisch. Ein anderer Kellner ging zwischen dem Dutzend Tischen umher, legte Besteck und Servietten aus und richtete pedantisch die Stühle. Bratenduft wehte aus der Küche, und Brunetti erkannte den durchdringenden Geruch von gedünsteten Zwiebeln.
Sie bat um einen Cafe macchiato, Brunetti auch.
Sie hängte ihren Parka über die Stuhllehne und setzte sich, ohne abzuwarten, dass jemand ihr dabei half. Er nahm ihr gegenüber Platz. Der Tisch war fürs Mittagessen gedeckt, und sie schob sorgfältig die Serviette beiseite, legte Messer und Gabel darauf und stützte dann beide Arme auf den Tisch.
»Ich weiß nicht, wie wir das machen sollen«, sagte Brunetti, um Zeit zu sparen.
»Was haben wir für Möglichkeiten?«, fragte sie. Ihre Miene war weder freundlich noch das Gegenteil, ihr Blick ruhig und leidenschaftslos wie der einer Juwelierin, die ein Schmuckstück begutachten soll und es am Prüfstein ihres Scharfsinns reibt, um festzustellen, wie viel Gold es enthält.
»Ich gebe Ihnen eine Information, dann geben Sie mir eine, dann bin ich wieder dran und so weiter. Wie beim Spiel, wenn man die Karten aufdeckt«, schlug Brunetti nicht ganz ernst vor.
»Oder aber?«, fragte sie mäßig interessiert.
»Oder aber einer von uns erzählt alles, was er weiß, und dann tut der andere dasselbe.«
»Verschafft das dem Zweiten nicht einen enormen Vorteil?«, fragte sie schon etwas freundlicher.
»Es sei denn, der Erste lügt auch«, antwortete Brunetti.
Zum ersten Mal lächelte sie, und schon sah sie noch jünger aus. »Soll ich dann anfangen?«
»Bitte«, sagte Brunetti. Der Kellner brachte den Kaffee und zwei kleine Gläser Wasser. Die Dottoressa nahm keinen Zucker. Statt zu trinken, schaute sie in die Tasse und schwenkte sie herum.
»Ich habe mit Filippo gesprochen, nachdem er bei Ihnen war.« Sie dachte nach. »Er hat mir erzählt, worum es dabei ging. Um den Mann, bei dessen Identifizierung Sie ihm helfen sollten.« Sie sah ihm in die Augen, dann wieder auf den Schaum in ihrer Tasse. »Wir haben fünf Jahre lang zusammengearbeitet.«
Brunetti trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Tisch.
Plötzlich schüttelte sie den Kopf. »Nein, so wird das nichts. Wenn ich als Einzige hier was
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