Brunetti 18 - Schöner Schein
Fässer«, erwiderte Brunetti. »Aber man kann ihn nicht weit transportiert haben, nicht da draußen. Zu viele mögliche Zeugen.«
»Aber es gibt doch keine Zeugen?«, fragte Vianello.
»Man kann nicht einfach so mit einem Toten in diese Fabrikanlagen hineinspazieren, Lorenzo.«
»Ich stelle mir das einfacher vor, als ein paar Lastwagen mit toxischen Abfällen da hineinzubringen«, erwiderte der Ispettore.
»Heißt das, du willst nicht mitkommen?«, fragte Brunetti.
»Nein, das heißt es selbstverständlich nicht«, sagte Vianello aufgebracht. »Und ins Casinó komme ich auch mit.« Eine Einschränkung konnte er sich aber doch nicht verkneifen: »Falls wir bis eins mit dieser sinnlosen Aktion fertig sind.«
Brunetti ging darüber hinweg. »Wer fährt?«
»Heißt das, du willst keinen Fahrer anfordern?«
»Es wäre mir angenehmer, wenn es jemand wäre, dem wir trauen können.«
»Sieh mich nicht so an«, sagte Vianello. »Ich habe in den letzten fünf Jahren höchstens eine Stunde lang am Steuer gesessen.«
»Wer dann?«
»Pucetti.«
24
F incantieri baute Kreuzfahrtschiffe im Dreischichtbetrieb; im Industriegebiet herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Als daher um halb zehn an diesem Abend drei Männer in einer unauffälligen Limousine vorfuhren, kam der Wachmann nicht einmal aus seiner Hütte. Er hob nur freundlich die Hand und winkte den Wagen durchs Tor.
»Weißt du noch den Weg?«, fragte Vianello den Commissario, der vorne neben Pucetti auf dem Beifahrersitz des zivilen Polizeifahrzeugs saß. Der Ispettore spähte links und rechts aus den Fenstern. »Das sieht alles so anders aus.«
Brunetti hatte die Wegbeschreibung des Wachmanns vom Vortag noch im Kopf und gab Pucetti entsprechende Anweisungen. Nach wenigen Minuten erreichten sie das rote Gebäude; Brunetti schlug vor, sie sollten das Auto hier stehenlassen und zu Fuß weitergehen. Vianello druckste herum, ob sie vor dem Aufbruch etwas trinken wollten, seine Frau habe darauf bestanden, dass er eine Thermoskanne Tee mit Zitrone und Zucker mitnehmen solle. Als sie dankend ablehnten, fügte er hinzu, er habe auch etwas Whisky mitgebracht, und klopfte auf die Tasche seines Daunenparkas.
In dieser Nacht war beinahe Vollmond, so dass sie Vianellos Taschenlampe eigentlich nicht brauchten und er sie bald wieder einsteckte. Die Quelle des unheimlichen Lichts, in dem sie sich fortbewegten, war schwer auszumachen. Es schien nicht nur von der Abgasfackel hoch oben aus einem Schlot in der Nähe zu kommen, sondern auch von dem vagen Schimmer, der über die laguna von Venedig her bis zu ihnen leuchtete: Die Stadt hatte die Dunkelheit besiegt.
Brunetti drehte sich um und sah nach dem roten Gebäude zurück, das nachts nicht mehr rot war. Bei dieser Beleuchtung war nichts mehr sicher. Womöglich waren sie schon über den Fundort von Guarinos Leiche hinaus, aber genauso gut konnten sie noch hundert Meter davon entfernt sein. Vor ihnen erhoben sich die riesigen Öllagertanks, überdimensionale Damesteine auf der endlosen Fläche. Pucetti flüsterte: »Wenn es dort neue Türen gibt - wie kommen wir da rein?«
Als Antwort klopfte Vianello auf seine Parkatasche, woraus Brunetti schloss, dass er sein Einbruchswerkzeug mitgebracht hatte - was für ein Skandal, wenn so etwas bei einem Polizeibeamten gefunden würde. Schockierender war nur noch, wie geschickt Vianello damit umzugehen wusste.
Feine Nebeltröpfchen bedeckten ihre Mäntel, und plötzlich rochen sie auch etwas. Aber das war weder Säure noch der bittere Geruch von Eisen, sondern eine Mischung aus Chemikalien und Gas, die auf der Haut einen Film bildete und in Nase und Augen eine schwache Reizung hervorrief. Besser nicht einatmen; besser nicht weitergehen.
Sie erreichten den ersten Öltank und gingen darum herum, bis sie eine Tür fanden, die offenbar mit einem Schneidbrenner in das Metall geschnitten worden war. Wenige Meter davor blieben sie stehen, und Vianello leuchtete mit der Taschenlampe den Boden ab. Glitschiger Schlamm, gefroren und seit dem letzten Regen vor einigen Wochen unberührt. »Hier war schon lange keiner mehr«, sagte Vianello überflüssigerweise und knipste die Lampe aus.
Beim nächsten war es genauso: keine Fußabdrücke im Schlamm, nur die Spuren irgendeines Tiers: Katze, Hund, Ratte. Keiner von ihnen hatte eine Ahnung.
Sie machten sich auf den Weg zum dritten Tank. Er ragte bedrohlich vor ihnen auf, mindestens zwanzig Meter hoch, dahinter glommen in der Ferne die Lichter
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