Brunetti 18 - Schöner Schein
des Hafens von San Basilio. Links und rechts flimmerten die Lichterketten der drei Kreuzfahrtschiffe, die auf der anderen Seite der laguna vor Anker lagen.
Plötzlich näherte sich von hinten das dumpfe Brummen eines Motors; auf der Suche nach Deckung liefen sie von der Straße weg zu dem Tank und drückten sich an die rostige Wand. Das Brummen wurde immer lauter. Ein Lichtfleck fiel aufs Gelände und kam mit erschreckendem Tempo auf sie zu. Sie drückten sich noch fester an das Metall.
Das Flugzeug schoss mit ohrenbetäubendem Lärm über sie hinweg. Brunetti und Vianello hielten sich die Ohren zu, Pucetti blieb gelassen. Als das Flugzeug verschwunden war, stießen sie sich betäubt von der Wand ab und gingen um den Tank, bis sie die Tür gefunden hatten.
Auch hier leuchtete Vianello den Boden ab, und diesmal erzählte der Schlamm eine ganz andere Geschichte: Deutlich waren Reifenspuren und Fußabdrücke zu sehen. Außerdem war diese Tür nicht schludrig aus dem Metall geschweißt und zum Schutz vor Eindringlingen mit zusammengenagelten Brettern verrammelt worden. Das hier war eine fachgerecht eingebaute Schiebetür, wie manche Garagen sie haben, aber nicht an Privathäusern, sondern an Busbahnhöfen. Oder Lagerhäusern.
Vianello trat näher und untersuchte das Schloss. Sein Licht fiel auf ein zweites, das etwas höher angebracht war, und dann auf ein drittes, ein Vorhängeschloss, das durch zwei an die Tür und die Tankwand geschweißte Metallringe eingehängt war. »Das obere schaffe ich nicht«, sagte er und wandte sich ab.
»Und was jetzt?«, fragte Brunetti.
Pucetti ging links, dicht am Eisenmantel des Tanks entlang. Nach wenigen Schritten kam er zurück, ließ sich von Vianello die Taschenlampe geben und brach von neuem auf. Brunetti und Vianello hörten seine Schritte, als er sich zur Rückseite des Tanks aufmachte, und ab und zu ein hohles Klappern, wenn er an die Wand schlug. Dann ging das Geräusch seiner Schritte im Heranbrausen eines weiteren Flugzeugs unter, das ihre ganze Welt mit Lärm und Licht erfüllte. Ebenso plötzlich war es weg.
Eine Minute verging, bis es halbwegs still war, aber auch jetzt noch hörten sie Motoren in der Ferne und von irgendwo das Sirren von Stromleitungen. Dann Knirschen von gefrorenem Schlamm, als Pucetti wieder zu ihnen stieß.
»Da hinten ist eine Leiter.« Der junge Polizist konnte seine Aufregung nicht verbergen: Räuber und Gendarm spielen, auf Pirsch mit den Kollegen. »Kommen Sie. Ich zeig's Ihnen.«
Schon war er um die Rundung des Tanks verschwunden. Sie gingen ihm nach, und da stand er und leuchtete mit der Taschenlampe nach oben. Als ihre Augen dem Lichtstrahl folgten, bemerkten sie eine Reihe von Eisensprossen, die etwa zwei Meter über dem Boden anfingen und an der Wand hoch bis ganz nach oben führten.
»Was ist da?«, fragte Vianello.
Pucetti trat zurück, hielt den Strahl aber weiter auf das obere Ende der Leiter gerichtet. »Keine Ahnung. Ich sehe nichts.« Die beiden stellten sich zu ihm, sahen aber auch nichts, nur die letzte Sprosse, eine Handbreite unterhalb der Kante.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, das herauszufinden«, sagte Brunetti und kam sich ziemlich verwegen vor. Er schritt auf den Tank zu und streckte die Hände nach der untersten Sprosse aus.
»Warten Sie, Signore«, sagte Pucetti. Er ging hin, schob Brunetti die Lampe in die Tasche, ließ sich auf ein Knie und dann auf das andere nieder und machte sich zu einer menschlichen Fußbank. »Steigen Sie auf meine Schulter, Signore. Das ist einfacher.«
Vor fünf Jahren hätte Brunettis Männlichkeit das Angebot verächtlich zurückgewiesen. Er hob den rechten Fuß, doch als er spürte, wie sich der Stoff vor seiner Brust spannte, stellte er den Fuß wieder ab, knöpfte den Mantel auf, stieg dann auf Pucettis Schulter und packte die Sprossen Nummer zwei und drei. Er zog sich mühelos hoch und setzte mit beiden Füßen gleichzeitig auf der untersten Sprosse auf. Als er loskletterte, hörte er erst Pucetti, dann Vianello etwas rufen. Das Scharren unter ihm trieb ihn immer weiter nach oben; einmal gab es einen dumpfen Krach, als einer der beiden mit dem Fuß die Tankwand traf.
Er hatte mit seinen Kindern den ersten Spiderman-Film gesehen und seinen Spaß daran gehabt. Jetzt hatte er selbst das Gefühl, an der Außenwand eines Gebäudes emporzuklettern und dank seiner besonderen Kräfte nicht abstürzen zu können. Er nahm weitere zehn Sprossen, ruhte kurz aus und wollte zu den beiden
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