Brunetti 18 - Schöner Schein
unter sich hinabsehen, ließ es dann aber lieber bleiben und stieg weiter nach oben.
Die Leiter endete an einer Metallplattform, etwa so groß wie eine Tür. Zum Glück war sie mit einem Geländer abgesichert. Brunetti krabbelte hinauf, stand auf und trat ans hintere Ende, um den beiden Kollegen Platz zu machen. Er nahm die Taschenlampe und leuchtete ihnen, bis Vianello und dann Pucetti auf die Plattform gekrochen waren. Vianello stemmte sich hoch und starrte erschöpft in das grelle Licht. Brunetti richtete die Lampe auf Pucetti: Der strahlte übers ganze Gesicht. Was für ein Abenteuer.
Als Brunetti die Wand ableuchtete, entdeckte er auf seiner Seite der Plattform eine Tür mit eisernem Griff. Er drückte ihn runter, und die Tür schwang auf. Im Innern des Tanks gab es noch so eine Plattform. Er ging hinein und leuchtete den beiden anderen, so dass sie ihm folgen konnten.
Brunetti schnippte mit den Fingern: Gleich darauf kam das Echo, wiederholte sich ein paar Mal und verebbte. Er klopfte mit der Taschenlampe auf das Geländer, und auch dieses dumpfe Geräusch hallte durch den Raum.
Er richtete den Lichtstrahl auf eine Treppe, die sich von der Plattform in weitem Bogen an der Innenwand des Tanks nach unten schwang. Das Licht reichte nicht bis ans Ende der Treppe, und in der Finsternis ließ sich unmöglich abschätzen, wie weit es bis zum Boden war.
»Und?«, fragte Vianello.
»Wir gehen runter«, sagte Brunetti.
Um seine Wahrnehmung zu schärfen, machte Brunetti die Taschenlampe aus. Die beiden anderen holten tief Luft: allumfassende Dunkelheit. Die Alten hatten noch gewusst, was Dunkelheit war, während die heute Lebenden sie nur noch künstlich erzeugen konnten, um auch einmal einen Nervenkitzel zu haben. Das hier war Dunkelheit, sonst nichts.
Brunetti machte das Licht wieder an, und er spürte förmlich, wie die beiden sich ein wenig beruhigten. »Vianello«, sagte er, »ich gebe jetzt Pucetti die Lampe, und dann haken wir uns unter und machen uns an den Abstieg.« Er reichte Pucetti die Taschenlampe. »Sie leuchten auf unsere Füße und folgen uns.«
»Ja, Signore«, sagte Pucetti. Vianello streckte die Hand aus und packte Brunettis Arm.
»Abmarsch«, sagte Brunetti. Vianello ging außen, eine Hand am Geländer, den anderen Arm bei Brunetti eingehakt - wie ein gebrechliches Rentnerpärchen, das beim Nachmittagsspaziergang unerwartet in Schwierigkeiten gerät. Pucetti hielt das Licht immer auf die Stufe unmittelbar vor ihnen gerichtet und folgte ihnen mehr oder weniger nach Gefühl.
Aber den Rost auf den Stufen konnten sie alle sehen, und Brunetti, der sich neben Vianello eine Treppe hinabzwängte, die gerade breit genug für einen war, spürte nicht nur, wie er mit dem Ärmel die Flocken von der Innenwand schabte, sondern glaubte sie auch zu riechen. Und mit jedem Schritt tiefer in das höllische Dunkel nahm der Geruch zu. Öl, Rost, Metall: Je näher sie dem Boden kamen, desto aufdringlicher wurde der Gestank - oder aber das überwältigende Gefühl, in grenzenloser Dunkelheit eingeschlossen zu sein, schärfte ihre anderen Sinne.
Obwohl er wusste, dass es unmöglich war, glaubte Brunetti, hier unten sei es noch dunkler als oben. »Pucetti, ich bleibe jetzt stehen«, warnte er den jungen Kollegen, damit der ihnen nicht in die Hacken trat. Er hielt an, Vianello mit ihm. »Leuchten Sie mal den Boden an«, sagte er zu Pucetti, der sich ans Geländer lehnte und das Licht in die finstere Tiefe richtete.
Nach oben gewandt, erblickte Brunetti einen mattgrauen Fleck, bei dem es sich um die Tür handeln musste, durch die sie hereingekommen waren; erstaunt stellte er fest, dass sie schon über die Hälfte der Treppe geschafft hatten. Er drehte sich wieder um und sah dem Strahl der Taschenlampe nach: noch vier, fünf Meter bis zum Boden. Die Oberfläche funkelte, als leuchte sie von innen. Aber flüssig war sie nicht, denn wie der Schlamm draußen war sie von starren Wirbeln und Wellen durchzogen. Das Zittern der Lampe verwandelte sie in ein weindunkles Meer.
Ein Frösteln durchlief Vianellos Arm, und auch Brunetti spürte plötzlich die Kälte.
»Was jetzt, Signore?«, fragte Pucetti, indem er mit einem gleichmäßigen Schwenken der Taschenlampe den Raum immer tiefer ausleuchtete. Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt traf er auf ein Hindernis, und Pucetti ließ das Licht langsam daran hinaufgleiten. Das Gebilde war fünf, sechs Meter hoch, ein Massiv aus schwarzen, grauen und gelben Fässern und
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