Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
den Mund.
    »Ranzato?«, half er nach.
    Sie nickte erst, dann antwortete sie: »Ja. Filippo hat gesagt, Ranzato habe das Foto gemacht und ihm geschickt.« »Sonst noch etwas?« »Nein, nur das.«
    »Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?« »Einen Tag bevor er zu Ihnen gefahren ist.« »Danach nicht mehr?« »Nein.«
    »Hat er Sie angerufen?« »Ja, zweimal.« »Was hat er gesagt?« »Dass er mit Ihnen gesprochen habe und Sie für vertrauenswürdig halte. Und beim zweiten Mal, dass er wieder mit Ihnen gesprochen und Ihnen das Foto geschickt habe.« Sie überlegte. »Er hat gesagt, Sie seien sehr hartnäckig.«
    »Ja«, sagte Brunetti, und dann schwiegen sie erst einmal beide.
    Sie betrachtete ihren Löffel, als wüsste sie nicht, ob sie ihn nehmen und woanders hinlegen sollte. Und als sie schließlich fragte: »Warum musste er sterben?«, erkannte Brunetti, dass sie sich nur auf dieses Treffen eingelassen hatte, um diese Frage zu stellen. Er konnte ihr keine Antwort geben.
    Am anderen Ende des Raums wurden Stimmen laut, aber das waren nur die Kellner. Als Brunetti sie wieder ansah, schien sie genauso froh über die Ablenkung wie er. Er schielte auf seine Uhr: In zwanzig Minuten ging der nächste Zug nach Venedig. Er winkte dem Kellner und bat um die Rechnung.
    Nachdem er bezahlt und etwas Trinkgeld auf den Tisch gelegt hatte, gingen sie. Die Sonne schien jetzt kräftiger, und es war ein paar Grad wärmer geworden. Sie warf den Parka auf den Rücksitz ihres Autos und stieg ein. Während der Fahrt schwiegen sie wieder.
    Vor dem Bahnhof gab er ihr die Hand. Als er die Beifahrertür aufmachen wollte, sagte sie: »Da ist noch etwas.« Der tiefe Ernst in ihrer Stimme ließ seine Hand am Türgriff innehalten. »Ich denke, das sollte ich Ihnen sagen.« Er drehte sich zu ihr um.
    »Vor ungefähr zwei Wochen hat Filippo mir von einem Gerücht erzählt. Chaos in Neapel, die Mülldeponien geschlossen, zu viel Polizei: Deshalb hätten sie die Transporte eingestellt und würden die richtig gefährlichen Sachen jetzt erst einmal irgendwo lagern. Jedenfalls hat er es mir so erzählt.«
    »Was heißt ›richtig gefährlich‹?«, fragte Brunetti.
    »Hochgiftiges Zeug. Chemikalien. Vielleicht auch nukleare Abfälle. Säuren. Auf jeden Fall Substanzen, die in Containern oder Fässern gelagert werden müssen. Und weil die jeder als gefährlich erkennen kann, wollten sie nicht riskieren, damit durch die Gegend zu fahren, solange die Lage so kritisch war.«
    »Hatte er irgendeine Vermutung, wo sie das hingebracht haben könnten?«
    »Nicht direkt«, antwortete sie ausweichend, wie ein ehrlicher Mensch es tut, wenn er zu lügen versucht. Er sah ihr direkt in die Augen, bevor sie seinem Blick ausweichen konnte. »Etwas anderes kommt eigentlich nicht in Frage, oder?«, sagte sie.
    Paola wäre stolz auf ihn, dachte er, während Dottoressa Landi jetzt seinem Blick standhielt. Er musste an eine Kurzgeschichte denken, auch wenn er nicht mehr wusste, wer sie geschrieben hatte. Hawthorne? Poe? Irgendwas mit Brief im Titel. Versteck den Brief an einem Platz, wo er keinem auffällt: zwischen anderen Briefen. Einfach so. Versteck die Chemikalien zwischen anderen Chemikalien, dann fallen sie keinem auf. »Das erklärt, warum er im Petrochemie-Komplex war«, sagte er.
    Ihr Lächeln war unendlich traurig, als sie sagte: »Filippo hat gesagt, Sie seien sehr klug.«

23
    Z urück in der Questura, beschloss Brunetti, am unteren Ende der Nahrungskette anzufangen, bei jemandem, mit dem er seit langem nicht gesprochen hatte. Claudio Vizotti war, da gab es nichts zu deuteln, ein widerlicher Zeitgenosse. Vor Jahrzehnten als Klempner bei einer Petrochemie-Fabrik in Marghera angestellt, war er gleich zu Beginn in die Gewerkschaft eingetreten. Dort war er im Lauf der Jahre mühelos in die oberen Ränge aufgestiegen, und jetzt vertrat er Arbeiter nach Betriebsunfällen bei Schadensersatzprozessen gegen ihre Unternehmen. Zum ersten Mal hatte Brunetti mit ihm zu tun bekommen, nachdem Vizotti einen Arbeiter, der beim Sturz von einem schlampig gebauten Gerüst zu Schaden gekommen war, dazu gebracht hatte, seine Klage gegen eine Abfindung von zehntausend Euro zurückzuziehen.
    Dann aber stellte sich heraus - während eines Kartenspiels, bei dem ein betrunkener Buchhalter des betroffenen Unternehmens sich über die Gerissenheit der Gewerkschaftsvertreter beklagte -, dass Vizotti tatsächlich insgesamt zwanzigtausend Euro dafür erhalten hatte, dass er den Arbeiter zu

Weitere Kostenlose Bücher