Brut des Teufels
du siehst.«
» Menschen«, antwortete Robyn. » Viele Menschen. Sie tragen schwarze Kleider. Nein, keine Kleider. Sondern Umhänge mit Kapuzen. Lange Umhänge. Ich kann nicht sehen, ob es Männer oder Frauen sind, weil die Kapuzen ihre Gesichter verdecken.«
Nightingale blickte zu Barbara hinüber. Sie beobachtete ihn aufmerksam. Er nickte ihr zu, und sie nickte zurück.
» Ich stehe vor einem Altar«, berichtete Robyn. » Aber es ist kein Kreuz dort. Er ist mit einem weißen Tuch bedeckt. O G ott.«
» Was denn?«, fragte Barbara. » Was ist denn, Robyn? Was hast du gesehen?«
» Ein Junge. Sie haben einen Jungen. Wer ist das? Warum ist er da?«
Timmy Robertson, dachte Nightingale. Der kleine Timmy Robertson.
» Sie legen ihn auf den Altar und halten ihn fest. Er wehrt sich, aber einer von ihnen hat ihm die Hand auf den Mund gelegt. Nein, nein, nein!«
» Was denn, Robyn? Was geschieht?«
» Ein Messer. Einer von ihnen hat ein Messer. Nein, bitte nicht. Er ist doch nur ein Junge. Nicht! Nein!«
Nightingales Magen zog sich zusammen, und dann schrie Robyn so laut, dass er zusammenzuckte. Er drückte auf die »Stop«-Taste und nahm die Ohrhörer ab. » Sie haben den Jungen ermordet«, sagte er. » Sie haben ihn vor ihren Augen ermordet.«
Barbara nickte. » Vorausgesetzt, sie sagt die Wahrheit.«
Nightingale runzelte die Stirn. » Warum sollte sie denn lügen?«
» Es geht hier nicht um Lüge«, antwortete Barbara. » Eher um eine falsche Erinnerung. Deswegen muss die hypnotische Regression von Experten durchgeführt werden. In den falschen Händen ist sie ein gefährliches Instrument, weil sie verkehrte Erinnerungen erzeugen kann, Erinnerungen, die zwar nicht echt sind, sich für den Betreffenden aber echt anfühlen.« Barbara zeigte auf das Aufnahmegerät. » Hör es dir bis zu Ende an«, sagte sie. » Es kommt noch mehr.«
72
Nightingale schob sich die Ohrhörer wieder in die Ohren und drückte auf »Play«. Robyns Stimme erklang laut und deutlich.
» Es ist so viel Blut da«, sagte sie. » Überall ist Blut. Ich möchte gar nicht hinsehen.«
» Atme tief durch, Robyn. Atme schön tief durch. Alles ist in Ordnung, und du befindest dich in Sicherheit. Du erinnerst dich einfach nur an das, was geschehen ist. Keiner kann dir etwas tun. Verstehst du?«
» Ja«, antwortete Robyn.
» Kannst du eine Weile tief durchatmen und spüren, wie dein Herz ruhiger schlägt?«
Ein paar Sekunden herrschte Stille.
» Ist es jetzt wieder in Ordnung?«, fragte Barbara.
» Ja«, antwortete Robyn.
» Sag mir, was du sehen kannst«, forderte Barbara sie auf. » Stell dir vor, du siehst das alles im Fernsehen. Kannst du das tun? Du bist nicht real da; du siehst es im Fernsehen. Verstehst du?«
» Ich verstehe«, antwortete Robyn.
» Dann sag mir jetzt, was du siehst.«
» Das Blut tropft auf den Boden. Ich sehe die Augen des Jungen, und sie sind aufgerissen, aber er muss tot sein, weil so viel Blut da ist. Alle rücken enger zusammen und reden, aber ich verstehe nicht, was sie sagen. Einer von ihnen berührt das Blut und hebt die Hand hoch.«
» Ist es ein Mann oder eine Frau?«
» Ich kann es nicht sehen, weil alle Kapuzen über den Gesichtern tragen. Oder doch, es ist ein Mann. Seine Hände sind groß. Jetzt berührt er jemand anderen am Kopf und schmiert Blut darauf.«
» Was meinst du damit, Robyn? Er zeichnet die Stirn mit Blut? Ist es das, was er tut?«
» Ja«, antwortete Robyn. » Jetzt macht er es bei einem anderen. Bei allen. Jetzt haben alle Blut auf der Stirn.«
» Wo befindest du dich, Robyn?«
» Mitten in der Kirche, dem Altar gegenüber. Zwei Leute haben mich zwischen sich genommen und halten mich fest . Je tzt legt der Mann erneut die Hand in das Blut des Jungen.«
Nightingale hörte seine Schwester laut und keuchend atmen.
» Entspann dich, Robyn, keiner kann dich hören«, sagte Barbara. » Bleib ruhig. Atme tief durch.«
Robyns Atem beruhigte sich.
» Jetzt sag mir, was geschieht, Robyn.«
» Der Mann bestreicht mein Gesicht mit Blut. Er sagt etwas, aber die Worte ergeben keinen Sinn, und seine Stimme ist so tief, als hörte ich sie unter Wasser. Er kommt mit seinem Gesicht ganz nah an meines heran, aber ich kann immer noch nicht verstehen, was er sagt.«
» Du machst deine Sache sehr gut, Robyn. Bleib ruhig. Hier kann dir nichts geschehen. Du befindest dich in Sicherheit. Und jetzt sag mir, was geschieht.«
» Man führt mich zum Altar. Meine Beine fühlen sich schrecklich schwer
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