Brut des Teufels
Ecktisch hinüber, wo Barbara mit ihrem digitalen Aufnahmegerät beschäftigt war. » Weißweinschorle«, sagte er und stellte das Glas vor sie hin. Er setzte sich und prostete ihr zu. Die Barkeeperin hatte sein Corona in ein Glas geschenkt, bevor er etwas einwenden konnte, obwohl das Bier nach seiner Erfahrung direkt aus der Flasche besser schmeckte. Barbara beachtete ihn nicht und konzentrierte sich auf das Aufnahmegerät. Nightingale zuckte mit den Schultern und trank sein Bier.
» Die erste Stunde habe ich dafür gebraucht, sie in einen entspannten Zustand zu versetzen«, sagte sie. » Es war ziemlich schwierig, die Oberhand zu gewinnen. Es war, als blockte sie mich ab.«
» Sie wollte nicht hypnotisiert werden?«
Barbara schüttelte den Kopf. » Nein, sie hat keinen Widerstand geleistet. Aber es war, als wäre bereits eine hypnotische Kontrolle am Werk. Die musste ich ausschalten, bevor ich sie auf ein niedrigeres Bewusstseinsniveau führen konnte.«
» Jemand hatte sie schon vorher hypnotisiert?«
» Ja, genau das glaube ich. Und das ist ein großes Problem, weil wir zwischen ihren echten Erinnerungen und den Erinnerungen, die nur das Ergebnis einer Suggestion sind, unterscheiden müssen.«
» Ich kann dir nicht folgen«, sagte Nightingale.
» Hör dir erst einmal das hier an«, erwiderte sie. Sie blickte auf das Display an der Seite des Aufnahmegeräts. » Okay, hier waren wir nach achtzig Minuten angelangt. Ich habe sie in die Kirche zurückgeführt, wo sie mit dem toten Jungen aufgefunden wurde.« Sie blickte sich um, um sicherzugehen, dass niemand in Hörweite war. Am Nachbartisch ließ ein Paar mittleren Alters sich einen Shepherd’s Pie schmecken. Barbara klappte ihre Aktentasche auf und holte ein Paar Ohrhörer heraus. » Nimm die hier. Wir wollen ja den Leuten hier keine Angst einjagen«, sagte sie. Sie steckte sie in das Aufnahmegerät ein.
Nightingale schob sich die Stöpsel in die Ohren und drückte auf »Play«. Die Wiedergabe begann mitten im Gespräch, und er brauchte ein paar Sekunden, bis er begriff, dass da seine Schwester redete.
» Es ist dunkel, und ich höre den Motor.«
» Warum ist es dunkel, Robyn?«
» Ich habe etwas über den Augen.«
» Was denn? Eine Binde?«
» Einen Sack. Er ist aus Stoff, und ich kann atmen, aber es ist heiß. Mir wird schwindlig.«
» Ist dir wegen des Sacks über dem Kopf schwindlig?«
» Ich weiß nicht recht. Es ist schwierig nachzudenken. Es ist, als wäre ich betrunken.«
» Aber du hast nichts getrunken?«
» Ich glaube nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«
» Versuche dich zu erinnern«, sagte Barbara.
Nightingale trank einen Schluck Bier und rückte auf seinem Stuhl nach hinten. Barbara beobachtete ihn. » Okay?«, formte sie mit den Lippen. Nightingale nickte.
» Ich habe keinen Alkohol getrunken, aber ich glaube, man hat mir eine Spritze gegeben. Ins Bein.«
» Warum glaubst du das, Robyn?«
» Etwas hat mir wehgetan. Wie ein Nadelstich. Dann ist mein Bein taub geworden.«
» Okay, jetzt sag mir, was passiert, wenn der Lieferwagen hält.«
» Ich kann Stimmen hören, dann öffnet sich die Tür, und man holt mich heraus. Unter meinen Füßen knirscht Kies. Ich rutsche aus, aber man hält mich fest, damit ich nicht falle. Es ist kalt, und es regnet.«
» Du hast noch immer den Sack über dem Kopf?«
» Ja.«
» Was geschieht als Nächstes, Robyn?«
» Ich höre, wie eine Tür aufgeht. Ich gehe nicht mehr auf Kies. Unter meinen Füßen ist etwas Hartes. Ich bin drinnen. Um mich herum höre ich Menschen. Sehr viele Menschen. Sie murmeln, als würden sie beten.«
Nightingale griff nach seinem Glas und trank beim Zuhören noch einen Schluck Bier. Er hatte ein ungutes Gefühl in der Magengrube, denn er war sich ziemlich sicher, dass er wusste, was als Nächstes kommen würde.
» Kannst du hören, was sie sagen, Robyn?«
» Ja, aber es ist kein Englisch. Ich weiß nicht, was es ist.«
Es ist Latein, dachte Nightingale. Deswegen versteht sie nichts.
» Was geschieht jetzt, Robyn?«, fragte Barbara.
» Eine Tür– eine Tür fällt zu. Es klingt wie eine große Holztür.«
Eine Kirchentür, dachte Nightingale. Eine Kirche in Clapham.
» Mach weiter, Robyn«, sagte Barbara. » Erzähl mir, was geschieht.«
» Sie führen mich weiter. Sie halten mich an den Armen. Und der Sprechgesang wird lauter, wie ein Summen in meinen Ohren. Etwas geschieht mit meiner Kapuze. Sie wird abgenommen.«
» Das ist gut, Robyn. Erzähl mir, was
Weitere Kostenlose Bücher