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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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eine Freude - einfach so -, ein glückseliger Urgrund."

    Wenn man, wie Klaus Renn, die Sehnsucht als Weg zum glückseligen Urgrund der Seele versteht, dann bedeutet das keine Realitätsflucht. Denn dieser Weg führt nicht an unserem Alltag vorbei, sondern durch ihn hindurch. Indem wir das alltägliche Tun bewusst wahrnehmen, werden wir die Sehnsucht entdecken, die hinter allem, was wir sagen, denken und tun, steht. Sie befreit uns von der Fixierung auf das Vordergründige und lässt uns tiefer in die eigene Seele schauen. In ihr kommen wir in Berührung mit den inneren Kraftquellen. Sie führt uns in die eigene Tiefe. Und dort in der Tiefe - die Mystiker würden vom „Seelengrund" sprechen - stoßen wir auf unsere Sehnsucht nach Freude, nach echten Gefühlen. Die Seele sehnt sich nach dem Ursprünglichen, Unverfälschten, Authentischen, das noch nicht durch Konvention überdeckt, nicht von den eigenen oder fremden Erwartungen verstellt ist.
    Dies ist in der Tat ein therapeutischer Weg. Er führt zu den Kraftquellen, die auf dem Grund unserer Seele sprudeln. Die tiefste Quelle, aus der wir schöpfen, ist die Freude. Sie liegt auf dem Grund unserer Seele bereit: ein glückseliger Urgrund, der uns in der eigenen Tiefe erwartet. Auch ein Mensch, der gerade von depressiven Gefühlen überschwemmt wird, kann diese Sehnsucht wahrnehmen und sie zur Führerin wählen. Wir sollen unsere depressiven Gefühle nicht überspringen, aber wir dürfen uns auch nicht in sie vergraben. Gerade unsere Traurigkeit ruft nach der Sehnsucht, die uns durch sie hindurchführen möge auf jenen Urgrund, in dem uns Freude, Friede, Liebe, Lebendigkeit und Freiheit erwarten. Jedes Gefühl, dem wir bis auf den Grund folgen, bringt uns mit der Sehnsucht nach dem glückseligen Urgrund in Berührung. Jede Emotion, die wir bewusst in unserem Leib wahrnehmen, bringt uns in Bewegung. Wenn wir uns bewegen lassen, gelangen wir durch jede Emotion in den eigenen Grund, in dem wir ganz wir selbst sind, eins mit unserem wahren Wesen, eins mit Gott, dem Grund aller Freude, mit Gott, dem glückseligen Urgrund.

    NICHT ÜBERFORDERN

    Es hilft nicht, vor der Realität unseres Lebens davonzulaufen und uns in der Irrealität einer Wunschwelt zu verlaufen. Sehnsucht kann durchaus eine Hilfe sein, unsere Realität anzunehmen, sie nicht zu verdrängen. Wenn wir in uns eine Sehnsucht nach etwas Weltjenseitigem spüren, nach einem Ort, der diese Welt übersteigt, dann können wir uns aussöhnen mit der oft so banalen Wirklichkeit unseres Lebens, ohne sie ideologisch verbrämen oder schönreden zu müssen. Dann sind wir nicht enttäuscht, wenn der von uns geliebte Mensch unsere tiefste Sehnsucht nach absoluter Liebe nicht erfüllen kann. Dann überfordern wir unsern Ehepartner nicht mit Erwartungen, die ein Mensch gar nicht erfü llen kann. Ich erlebe immer wieder, wie Menschen von dem, den sie lieben, erwarten, dass er sie heile, dass er sie erlöse und befreie und ihrem Leben einen letzten Sinn schenke. Aber das sind Erwartungen, die kein Mensch erfüllen kann. Die Sehnsucht relativiert unsere Erwartungen an einen Menschen, damit wir fähig werden, menschlich miteinander umzugehen, ihn so zu lassen, wie er ist. Dann müssen wir ihn nicht absolut setzen und ihn mit Gott verwechseln, dem er nie gleichen kann.

    HINEINWACHSEN INS EIGENE BILD

    Als der alte Karl Rahner bei der Feier seines 80. Geburtstags in seiner Heimatstadt Freiburg nach all den Ehrungen seine Dankesrede hielt, zitierte er den dänischen Religionsphilosophen Sören Kierkegaard: „Sehnsüchtig grüßt der, der ich bin, den, der ich sein könnte." Es klang Wehmut mit in diesem Wort des großen Theologen, auch Bescheidung. Und es hat die Zuhörer auch beeindruckt: Wer mit achtzig Jahren und nach einem rastlosen Leben, das eine ungewöhnlich reiche Ernte getragen hatte, eingestehen kann, dass er immer noch nicht der ist, der er sein möchte, der beweist innere Größe.
    Den Zwiespalt erleben wir wohl alle. Wir haben Bilder von uns, wie wir sein möchten. Und wir sehnen uns danach, diese inneren Bilder zu verwirklichen. Wir möchten gelassen sein, freundlich, beherrscht, diszipliniert, lebendig, frei, offen. Wir möchten voller Liebe sein. Doch dann erleben wir immer wieder schmerzlich, wie durchschnittlich wir sind, hin- und hergerissen zwischen Liebe und Hass, zwischen Disziplin und Disziplinlosigkeit, zwischen Freundlichkeit und Griesgram, zwischen Lebendigkeit und Starre. Wohl unser ganzes Leben

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