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Buch Der Sehnsucht

Titel: Buch Der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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Gemeinschaft leben und sich bitter beklagen, dass ihre Gemeinschaft so eng ist. Alles, was sie investieren, damit das Zusammenleben lebendiger wird, schlägt fehl. Sie sind frustriert und verbittert. Natürlich sollen wir daran arbeiten, dass unter uns ein verstehendes und wohlwollendes Klima entsteht. Aber manchmal kommen wir einfach an unsere Grenzen. Dann ist die Frage, ob ich mich an der Grenze aufreibe, oder ob ich mir von ihr meine Sehnsucht stärken lasse. Dann kann ich mich mit der Grenze aussöhnen, nicht resignierend, sondern in dem Wissen, dass sie mich lebendig hält und mich tiefer in meine Sehnsucht hineinführt und so näher zu Gott bringt.
    Oder ich bin enttäuscht über meine Arbeit. Sie ist so langweilig oder raubt mir alle Energie. Es gibt so viel Leerlauf und Sinnlosigkeit, und ich spüre, dass ich zu etwas anderem berufen bin. In einer solchen Situation stehe ich vor einer echten Alternative: Ich kann mich beklagen, dass die anderen mein Glück verhindern, dass mir meine berufliche Situation den inneren Frieden unmöglich macht. Oder ich kann die Enttäuschung bewusst annehmen, weil sie meine Sehnsucht anstachelt, mich mit ihr erst richtig in Berührung bringt. Dann kann ich gelassen auf mein Leben schauen. Ich bin frei von der Fixierung auf meine Erwartungen und verliere die Angst, dass meine Erwartungen doch nicht erfüllt werden. Ganz gleich, was auf mich einströmt, ich spüre die Sehnsucht in mir. Und die gehört mir. Die ist mein Eigentum. Die enthebt mich der Enge, in die mich die alltäglichen Konflikte oft hineindrängen. Sie beflügelt meine Seele, so dass sie nicht eingefangen wird von den alltäglichen Reibereien und Enttäuschungen.

    GANZ IM AUGENBLICK

    Im Gefängnis von Tegel hat der Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer viel nachgedacht über den Sinn des Lebens und über das Geheimnis des Menschen. Als ihm alles genommen war - sein Beruf, seine Freiheit, seine Braut -, da wurde er mit der nackten Wahrheit seines Lebens konfrontiert. Das führte ihn zu neuen Einsichten, die die Theologie heute noch herausfordern und befruchten. In seinen Aufzeichnungen, die unter dem Titel „Widerstand und Ergebung" publiziert wurden, notiert er: „Aber gehört es nicht zum Wesen des Mannes im Unterschied zum Unfertigen, dass das Schwergewicht seines Lebens immer dort ist, wo er sich gerade befindet, und dass die Sehnsucht nach der Erfüllung seiner Wünsche ihn doch nicht davon abzubringen vermag, dort, wo er nun einmal steht, ganz das zu sein, was er ist?"
    Dietrich Bonhoeffer denkt über das Wesen des Menschen nach. Und erkennt, dass sich dieser auf den gegenwärtigen Augenblick mit seinen Herausforderungen einlässt. Sehnsüchte halten ihn nicht davon ab, an dem teilzunehmen, was gerade ansteht. Die Sehnsucht entreißt ihn also nicht seinen alltäglichen Auseinandersetzungen. Im Gegenteil, sie ermöglicht es ihm, ganz im Augenblick und ganz er selbst zu sein, zu sich und seiner Wahrheit zu stehen. Bonhoeffer kennt offensichtlich auch eine andere Sehnsucht, die den Menschen davon abhält, sich auf das gerade Geforderte einzulassen: die Sehnsucht als Flucht vor der Realität. Doch das wäre eine krankhafte Sehnsucht, eine infantile Sehnsucht, die der Realität ausweichen möchte, statt sie aktiv zu gestalten. Die gesunde Sehnsucht führt den Menschen dazu, ganz dort zu sein, wo er gerade steht, und das anzupacken, was er als notwendig erkannt hat. In der Sehnsucht übersteigt der Mensch diese Welt und den jeweiligen Augenblick, aber nicht, um alles hinter sich zu lassen, sondern um aus dieser höheren Perspektive heraus diese Welt zu formen und für diese Welt Verantwortung zu übernehmen.

    HARMONIE UND SPANNUNG

    Jeder von uns kennt die Sehnsucht nach Harmonie. Konflikte belasten. Manch einer hält es in einer Atmosphäre von Streit und Zwietracht kaum aus. Menschen, die in ihrer Kindheit ständig mit den Konflikten zwischen den Eltern konfrontiert waren, können als Erwachsene kaum Streit ertragen. Sofort kommt in ihnen die traumatische Erfahrung ihrer Kindheit hoch. Sie haben Angst, dass man ihnen den Boden unter den Füßen wegzieht. Konflikte sind für sie bedrohlich. Um überleben zu können, haben sie als Kinder die Augen vor den Konflikten geschlossen. Und dieses Lebensmuster begleitet sie auch heute. Ihre Sehnsucht nach Harmonie ist verständlich. Sie ermöglicht es ihnen, zu überleben. Doch wenn sich diese verletzten Menschen nicht mit den Konflikten ihrer

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