Buch des Todes
meisten Fotos nicht mehr irgendwo herum.«
»Nein, natürlich nicht. Ich denke da mehr an so große Röntgenbilder, die man an eine Leuchttafel hängt.«
»Du siehst zu viele Arztserien.«
»Möglich. Habt ihr euch denn auch Bonds Handy und seinen PC vorgenommen?«, fragte sie gespannt.
»Sein Handy ist so ein antikes Stück ohne viel Speicherplatz. Du darfst nicht vergessen, dass er nicht mehr der Jüngste war.Viele Leute in seinem Alter haben nicht einmal ein Handy. Er hatte einen PC im Büro, aber keinen zu Hause, auch das ist typisch für seine Generation. Die ersten Untersuchungen seines PCs haben ergeben, dass es keine verschlüsselten Files gibt und auch nichts passwortgeschützt ist. Die einzelnen Files haben wir uns aber noch nicht angeschaut.«
»Könntest du jemand daransetzen? Ich glaube, das ist wichtig. Sucht nach Fotos oder Röntgenbildern mit Text darauf, vermutlich ein undeutlicher, kaum zu erkennender Text.«
»Röntgenbilder von Text? Suchen wir nach einer verborgenen Botschaft?«, spaßte Laubach.
»Wenn du es so ausdrücken willst«, antwortete sie und legte auf.
Felicia Stone setzte sich in ihren Wagen und drehte den Zündschlüssel um. Das Radio begann zu spielen, und wie ein Gespenst aus der Vergangenheit hörte sie Chris Isaak. Noch ehe sie ausschalten konnte, war ihr der Song unter die Haut gekrochen. Ja, wirklich, genau so fühlte es sich an.Als ritzte sich der Songtext Wort für Wort in ihre Haut ein.Wie Tinte auf einem Pergament. Sie blieb wie gelähmt sitzen und hörte zu, bis der letzte Ton verklungen war. Dann blickte sie auf ihren Arm und suchte nach Buchstaben, Worten.War da nicht ein Abdruck, wenn auch kaum lesbar? »Nobody loves no one.« Sie konnte kaum atmen. Ich bin überarbeitet, dachte sie. Das ist nur eine Reaktion darauf, dass ich den Vater dieses Schweins getroffen habe. Und natürlich auf diesen Song.Was für ein Scheiß-Zusammentreffen. Noch einmal warf sie einen Blick auf ihren Arm. Musterte die Haut, aber da waren nur ein paar Adern, die deutlicher hervortraten als andere – keine Worte. Da kam der verbotene Gedanke: Ich nehme einen Drink. Und dann die noch verbotenere rationale Erklärung: Sie war nicht von Alkohol abhängig gewesen, sondern von Pillen – einen Drink würde sie schon vertragen.
Sie schaltete den Motor aus, und das Radio verstummte, noch ehe der Sprecher den nächsten Song ankündigen konnte. Dann stieg sie aus, blieb schwindelig stehen und ließ ihren Blick über den See schweifen. Es war einmal ihr großer Traum gewesen, an dieser Universität zu studieren, Literatur und Geschichte, um die großen Fragen des Lebens zu verstehen. Sie wusste, dass die Studienabgänger sich jedes Jahr an einem Abend zu einer stimmungsvollen Abschlusszeremonie mit Kerzen um diesen See versammelten. Das hatte sie auch erleben wollen. Stattdessen hatte sie eine Ent ziehungskur bekommen, dann Alaska und schließlich die Po lizeischule. Bereute sie es? Aber wie sollte sie etwas bereuen, das sie noch nicht einmal selbst entschieden hatte?
Langsam ging sie bis ganz runter zum Ufer, kniete sich hin, füllte die Hände mit Wasser und wusch sich das Gesicht. Ich brauche keinen Drink, dachte sie plötzlich mit klarem Kopf. Ich muss nach Hause.
Mit zu Hause meinte sie die Wohnung am Monument Avenue Park, in dem ihr Vater noch immer wohnte. Ihre Mutter war vor ein paar Jahren an Herzversagen gestorben.
Sie parkte auf dem Bürgersteig vor dem Haus von Brad Davis. Auch er wohnte noch dort, das wusste sie, obwohl sie ihn seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Irgendwann, nachdem sie von zu Hause ausgezogen war, hatte er zu dealen aufgehört. Vermutlich hatte sein Kundenkreis immer nur aus Freunden von der Highschool bestanden, und die waren ja größtenteils ins College verschwunden. Er hatte dann auch irgendwann seinen persönlichen Haschkonsum eingeschränkt, geheiratet, einen Platz auf einem College bekommen, und war Werbefachmann geworden. Inzwischen hatte er sogar zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die manchmal im Garten spielten. Offensichtlich hatte er den Kindern geholfen, die alte Holzhütte wieder instand zu setzen, in der Jessica einst, vor langer Zeit, ihren ersten, feuchten Kuss bekommen hatte. Seine Frau hatte sie nie getroffen. Jetzt, am Vormittag, war das Haus der Familie Davis leer.
Sie suchte den Schlüssel heraus, den sie noch immer hatte, und schloss die alte Haustür auf. Drinnen blieb sie einen Moment stehen und blickte auf die Kellertür.Wie
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