Buch des Todes
Werk verschieben und alte Textfragmente wie eine Art Untertext in den neuen Texten stehen bleiben.«
»Das heißt, wenn wir sagen, dass ein Text Tiefe hat, liegt das daran, dass er Dinge beinhaltet, die zuvor schon einmal geschrieben worden sind?«, fragte sie.
»So kann man das auch sehen«, sagte Nevins und lachte. »Der Begriff Palimpsest kann als Bild für eben das dienen. Jeder Text wird in gewisser Weise ›über‹ seinen Vorgänger geschrieben.Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Inzwischen wird der Archimedes-Palimpsest im Walters Arts Museum aufbewahrt. Dort nutzen sie fluoreszierende Röntgenfotografie, um den Rest des Palimpsests zu lesen.Was unseren Palimpsest angeht, gibt es Anzeichen dafür, dass dieser sogar mehr als zweimal beschrieben wurde, eventuell sogar vier, fünf Mal. Das macht es natürlich schwieriger, den Text zu deuten. Unmöglich ist es aber nicht.«
»Haben Sie nie daran gedacht, ihn persönlich zu analysieren?«, fragte Felicia Stone geradeheraus.
»Nicht auf eigene Faust. Das Buch ist schließlich Eigentum des Museums. Und Bond selbst war es, der in diesem Frühjahr die Entdeckung gemacht hat. Ich hatte den Ein druck, dass er selbst eine Untersuchung begonnen hatte, aber viel weiß ich darüber nicht. Ich habe allerdings die neuen Informationen über das Buch in den entsprechenden Datenbasen abgespeichert und ein paar Experten informiert. Darüber hinaus habe ich den Buchrücken auf einer Konferenz erwähnt, an der ich teilgenommen habe.Aber angebissen hat – wie gesagt – niemand. So ist das manchmal in der Wissenschaft. Sie würden nicht glauben, wie viel Unentdecktes es da draußen noch gibt. Die Menschen haben nicht den Mut, Zeit und Prestige auf etwas zu verwenden, dessen Ausgang ungewiss ist.Vermutlich steht auf diesem Buchrücken doch nur irgendwelcher mittelalterlicher Unsinn.Vielleicht etwas für eine Masterarbeit.«
»Es könnte aber auch eine wichtige historische Quelle sein?«
»Das könnte es, ja. Das Problem in diesem Fall ist aber, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, woher der Buchrücken stammt. Das ist niemals überprüft worden. Dabei gibt es eine gute Spur, der man folgen könnte, wenn man denn interessiert wäre.Auf dem Innentitel des Buches steht nämlich ein Name.«
Nevins ging zum Schreibtisch und hielt das Innenleben des Byron-Buches in die Höhe.Auf dem Innentitel stand etwas für Jessicas Augen vollkommen Unleserliches.
»Ich weiß nicht, wie man den Namen ausspricht«, sagte Nevins. »Wenn Sie Schwierigkeiten haben, die Schrift zu entziffern, kann ich Ihnen gerne aufschreiben, was dort steht.«
Er schrieb etwas auf einen Post-it-Zettel, den er ihr reichte.
»Bruder Lysholm Knudtzon?«
»Wenn ich einen Tipp abgeben sollte, würde ich sagen, der Name ist skandinavisch«, sagte Nevins.
»Sie sind schon auch ein Sammler, Herr Nevins«, sagte sie und steckte den Post-it Zettel in ihre Tasche.
»Das stimmt wohl, ja«, antwortete Nevins.
Sie sah sich im Zimmer um.
»Die Bücher hier drinnen, sind das Ihre, oder gehören die der Bibliothek?«
»Die meisten gehören mir«, antwortete er. »Aber keins davon ist so wertvoll, wie es vielleicht aussieht. Ich brauche die Bücher für meine Arbeit.«
»Aber Sie besitzen auch wertvolle Bücher?«
»Das tue ich.«
»Und wo bewahren Sie die auf?«
»Zu Hause«, antwortete Nevins jetzt plötzlich kurz angebunden.
»Sind sie da sicher?«, wollte sie wissen.
»Ich habe eine Alarmanlage. Sagen Sie, ist das wirklich relevant für den Fall?«
»Nein, entschuldigen Sie, ich war nur neugierig.« Im Stillen dachte sie aber, dass sie etwas angetickt hatte, irgendetwas, sie wusste nur noch nicht, was.
»Sie bewahren die wertvollsten Stücke nicht etwa in einem Safe auf?«, fragte sie.
»Warum fragen Sie?«
»Ich habe von Sammlern gelesen, die ihre wertvollsten Schätze einschließen, und irgendwie verstehe ich das nicht.Was ist der Sinn am Sammeln, wenn man die Kunstwerke dann vor dem Rest der Welt versteckt?«
»Tja, das ist eine gute Frage«, brummte Nevins amüsiert. Klang er angestrengt?
»Sie wissen doch bestimmt auch eine ganze Menge über die Büchersammlungen anderer Menschen, oder?«, fuhr Felicia Stone fort und schlug einen bewusst unschuldigen Ton an.
»Ich denke schon«, sagte er und entspannte sich sichtlich, da sich das Gespräch wieder von ihm selbst entfernte.
»Würden Sie sagen, dass Sie sich auch mit ausländischen Sammlungen gut auskennen?«
»Schon, ich bin oft in
Weitere Kostenlose Bücher