Buchanan - 06 - Schattentanz
später anrufen. Sie hörte die restlichen Nachrichten ab und löschte sie, dann ging sie mit ihrer Tasse Tee ins Wohnzimmer und setzte sich auf die breite Fensterbank, von der aus man auf den Charles River blickte.
Wie lange würde sie leiden?, dachte sie, während sie aus dem Fenster starrte.
Sie hatte keine Vergleichsmöglichkeiten, da sie noch keinen so geliebt hatte wie Noah. Sie konnte nur hoffen, dass die erste Erholungsphase mit Selbstmitleid begann, denn dann war sie auf dem besten Weg, über ihn hinwegzukommen.
Bis zum frühen Nachmittag lief sie im Pyjama herum, weil sie nicht die Energie aufbrachte, sich anzuziehen. Als sie sich zufällig im Vorbeigehen im Spiegel sah, zuckte sie zusammen und ging unter die Dusche.
Nick rief an, als sie dabei war, ihre Kontaktlinsen einzusetzen.
»Ich wollte dich auch gleich anrufen«, sagte sie. »Wie geht es Laurant? Ich will nicht im Krankenhaus anrufen. Am Ende schläft sie gerade. Darf sie Besuch bekommen?«
»Es geht ihr ganz gut«, erwiderte ihr Bruder. »Der Arzt will sie mindestens noch einen Tag dabehalten, und ich beschränke die Besuche auf ein Minimum, damit sie sich ausruhen kann.«
»Heute komme ich sowieso nicht mehr vorbei«, sagte Jordan. »Gib ihr einen Kuss von mir und sag ihr, wir sehen uns morgen.«
»Du kannst dich schon mal darauf einrichten, viele Fragen zu beantworten«, sagte Nick.
Oh Gott, was wusste Laurant?
»Warum?«, fragte sie nervös. »Was für Fragen? Worüber will Laurant mir Fragen stellen?«
»Jordan, was ist denn los mit dir?«
»Nichts«, erwiderte sie. »Nichts ist los. Ich habe nur überlegt, was deine Frau mich wohl fragen will.«
»Ach, ich weiß nicht. Vielleicht will sie etwas über die Leichen wissen, die du gefunden hast«, erwiderte er sarkastisch.
»Oh ja, die Leichen.« Sie hatte sie tatsächlich vergessen. »Okay. Ich werde ihre Fragen beantworten.«
»Bist du böse auf mich? Benimmst du dich deshalb so komisch?«
Mit den detektivischen Fähigkeiten ihres Bruders war es auch nicht allzu weit her.
»Äh, ja. Das stimmt.«
»Sag mir warum.«
»Du kennst den Grund«, wich sie aus.
»Du bist sauer, weil ich dich in Serenity alleingelassen habe, oder? Du warst zwar bei Noah gut aufgehoben, aber ich bin dein Bruder, und ich hätte bleiben sollen. Ich habe recht, oder? Deshalb bist du böse auf mich.«
Sie würde nicht nur wegen dieser Lüge im Fegefeuer brennen. »Ja, genau das ist der Grund.«
»Dr. Morganstern hat mich nach Boston zurückbeordert, und es ist mein Job, Jordan. Und außerdem war ich so bei Laurant, als sie Wehen bekommen hat.«
»Ja, okay. Ich verzeihe dir.«
»Das ging aber schnell.«
»Ja, du hast nur getan, was du tun musstest«, erwiderte sie schnell. »Hör mal, ich muss auflegen. An der Tür hat es geläutet.«
Es hatte tatsächlich geläutet. UPS brachte die Kartons mit den Kopien der Forschungsunterlagen, die sie in Serenity aufgegeben hatte. Sie stapelte sie an der Garderobe, ging an ihren Computer und schaltete ihn ein. Sie wollte ihre E-Mails lesen, bevor sie eine Rundmail verschickte, dass sie eine Zeitlang nicht per E-Mail zu erreichen wäre. Wie lange das sein würde, schrieb sie nicht.
Den Rest des Nachmittags verbrachte sie damit, ihre Mails zu bearbeiten. Jaffee hatte sie immer noch nicht zurückgerufen, und sie machte sich im Geiste eine Notiz, das gleich morgen früh zu erledigen.
Ihr Abendessen bestand aus Popcorn, das sie in der Mikrowelle warm machte. Sie legte sich aufs Sofa und zappte durch sämtliche Kanäle, während sie versuchte, Noah aus ihren Gedanken zu verdrängen. Aber sie musste ständig an ihn denken. Was mochte er heute gemacht haben? Was tat er gerade?
»Oh, das muss endlich aufhören!«
Entschlossen richtete sie ihre Gedanken auf andere Aspekte ihrer ereignisreichen Reise nach Texas. Aus einem kleinen Ausflug war ein Großereignis geworden. Drei Menschen waren tot, und eine kleine Stadt war völlig aus den Fugen geraten. Hätte jemand ihr vorher gesagt, was auf sie zukäme, sie hätte es nicht geglaubt. Es gab noch so viele unbeantwortete Fragen, und sie konnte nur hoffen, dass die FBI-Beamten den Dingen auf den Grund gehen würden. Von all diesen Intrigen und Enttäuschungen drehte sich Jordan der Kopf. Sie musste unbedingt eine Art Ordnung hineinbringen.
Professor MacKennas Geschichte von der Erbschaft hatte sich als Lüge erwiesen. Offensichtlich war er doch nach Serenity gezogen, weil er dort Geld bekam. Aber von wem? Hatte er mit J.D.
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