Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
ein wenig vereinsamt, wie?« fragte Thomas, um sie wieder auf den Weg zu bringen. »Aber höre, du hast doch Erika?«
    »Ja, Tom, und ich liebe das Kind von ganzem Herzen, obgleich eine gewisse Persönlichkeit behauptete, ich sei nicht kinderlieb … Aber, siehst du … ich bin offen zu dir, ich bin ein ehrliches Weib, ich rede, wie's mir ums Herz ist und halte nichts vom Wortemachen …«
    »Was sehr hübsch von dir ist, Tony.«
    »Kurz, das Traurige ist, daß das Kind mich allzusehr an {330} Grünlich erinnert … auch Buddenbrooks in der Breitenstraße sagen, daß es ihm so sehr ähnlich ist … Und dann, wenn ich es vor mir habe, muß ich beständig denken: Du bist eine alte Frau mit einer großen Tochter, und das Leben liegt hinter dir. Du hast einmal während einiger Jahre daringestanden, aber nun kannst du siebenzig und achtzig Jahre alt werden und wirst hier sitzen bleiben und Lea Gerhardt vorlesen hören. Der Gedanke ist mir so traurig, Tom, daß er mir hier in der Kehle sitzt und drückt. Denn ich empfinde noch so jugendlich, weißt du, und sehne mich danach, noch einmal ins Leben hinauszukommen … Und schließlich: nicht bloß im Hause, auch in der ganzen Stadt fühle ich mich nicht ganz wohl, denn du mußt nicht glauben, daß ich mit Blindheit geschlagen bin für die Verhältnisse, ich bin keine Gans mehr und habe meine Augen im Kopfe. Ich bin eine geschiedene Frau und bekomme es zu fühlen, das ist sehr klar. Du kannst mir glauben, Tom, daß es mir immer schwer auf dem Herzen liegt, unseren Namen, wenn auch ohne eigene Schuld, so befleckt zu haben. Du kannst thun, was du willst, du kannst Geld verdienen und der erste Mann in der Stadt werden, – die Leute werden immer noch sagen: ›Ja … seine Schwester ist übrigens eine geschiedene Frau.‹ Julchen Möllendorpf, geborene Hagenström, grüßt mich nicht … nun, sie ist eine Gans! Aber so geht es bei allen Familien … Und doch, ich
kann
die Hoffnung nicht aufgeben, Tom, daß Alles noch wieder gut zu machen ist! Ich bin noch jung … Bin ich nicht noch ziemlich hübsch? Mama kann mir nicht mehr viel mitgeben, aber es ist immerhin ein annehmbares Stück Geld. Wenn ich mich wieder verheiratete? Offen gestanden, Tom, es ist mein lebhaftester Wunsch! Damit wäre Alles in Ordnung, der Fleck wäre ausgelöscht … O Gott, wenn ich eine unseres Namens würdige Partie machen, mich wieder einrichten könnte –! Glaubst du, daß es so völlig ausgeschlossen ist?«
    {331} »Bewahre, Tony! Oh, keineswegs! Ich habe niemals aufgehört, damit zu rechnen. Aber vor Allem scheint es mir nötig, daß du mal ein bißchen hinaus kommst, dich ein wenig aufmunterst, Abwechslung hast …«
    »Das ist es eben!« sagte sie eifrig. »Nun muß ich dir mal eine Geschichte erzählen.«
    Sehr befriedigt von diesem Vorschlage lehnte sich Thomas zurück. Er war schon bei der zweiten Cigarette. Die Dämmerung begann vorzuschreiten.
    »Also während eurer Abwesenheit hätte ich beinahe eine Stelle angenommen, eine Stelle als Gesellschafterin in Liverpool! Hättest du es empörend gefunden? … Aber immerhin etwas fragwürdig? … Ja, ja, es wäre wahrscheinlich unwürdig gewesen. Aber es war mein so dringender Wunsch, fortzukommen … Kurz, es hat sich zerschlagen. Ich schickte der Missis meine Photographie, und sie mußte auf meine Dienste verzichten, weil ich zu hübsch sei; es sei ein erwachsener Sohn im Hause. ›Sie sind zu hübsch‹, schrieb sie … ha, ich habe mich niemals so amüsiert!«
    Die Beiden lachten sehr herzlich.
    »Aber nun habe ich etwas Anderes in Aussicht genommen«, fuhr Tony fort. »Ich bin eingeladen worden; eingeladen nach München von Eva Ewers … ja, sie heißt übrigens nun Eva Niederpaur, und ihr Mann ist Brauereidirektor. Genug, sie hat mich gebeten, sie zu besuchen, und ich denke demnächst von der Aufforderung Gebrauch zu machen. Freilich, Erika könnte nicht mitgehen. Ich würde sie zu Sesemi Weichbrodt in Pension geben. Dort wäre sie ausgezeichnet aufgehoben. Hättest du etwas dagegen einzuwenden?«
    »Gar nichts. Jedenfalls ist es nötig, daß du einmal wieder in neue Verhältnisse kommst.«
    »Ja, das ist es!« sagte sie dankbar. »Aber nun du, Tom! Ich spreche beständig von mir, ich bin ein eigennütziges Weib! Nun erzähle du. O Gott, wie glücklich du sein mußt!«
    {332} »Ja, Tony!« sagte er nachdrücklich. Es entstand eine Pause. Er atmete den Rauch über den Tisch hinüber und fuhr fort:
    »Zunächst bin ich sehr

Weitere Kostenlose Bücher