Buddenbrooks
froh, verheiratet zu sein und einen eigenen Hausstand begründet zu haben. Du kennst mich: ich hätte schlecht zum Garçon getaugt. Alles Junggesellentum hat einen Beigeschmack von Isoliertheit und Bummelei, und ich besitze einigen Ehrgeiz, wie du weißt. Ich halte meine Carrière weder geschäftlich, noch, sagen wir scherzeshalber: politisch für beendigt … aber das rechte Vertrauen der Welt gewinnt man erst, wenn man Hausherr und Familienvater ist. Dennoch hat es an einem Haare gehangen, Tony … Ich bin ein bißchen wählerisch. Ich habe es lange Zeit nicht für möglich gehalten, auf der Welt eine Passende zu finden. Aber Gerdas Anblick gab den Ausschlag. Ich sah sofort, daß sie die Einzige sei, ausgemacht sie … obgleich ich weiß, daß viele Leute in der Stadt /mir böse sind ob meines Geschmacks. Sie ist ein wundervolles Wesen, wie es deren sicher wenige giebt auf Erden. Freilich /ist sie sehr anders, als du, Tony. Du bist einfacher von Gemüt, /du bist auch natürlicher … Meine Frau Schwester ist ganz einfach temperamentvoller«, fuhr er fort, indem er plötzlich zu einem leichteren Tone überging. »Daß übrigens auch Gerda Temperament besitzt, das beweist wahrhaftig ihr Geigenspiel; aber sie kann manchmal ein bißchen kalt sein … Kurz, es ist nicht der gewöhnliche Maßstab an sie zu legen. Sie ist eine Künstlernatur, ein eigenartiges, rätselhaftes, entzückendes Geschöpf.«
»Ja, ja«, sagte Tony. Sie hatte ihrem Bruder ernst und aufmerksam zugehört. Ohne an die Lampe zu denken, hatten sie den Abend hereinbrechen lassen.
Da öffnete sich die Korridorthür, und von der Dämmerung umgeben, stand vor den Beiden, in einem faltig hinabwallenden Hauskleide aus schneeweißem Piqué, eine aufrechte Gestalt. Das schwere, dunkelrote Haar umrahmte das weiße Ge {333} sicht, und in den Winkeln der nahe bei einander liegenden braunen Augen lagerten bläuliche Schatten.
Es war Gerda, die Mutter zukünftiger Buddenbrooks.
{334} Sechster Teil.
1.
Thomas Buddenbrook nahm das erste Frühstück in seinem hübschen Speisezimmer fast immer allein, denn seine Gattin pflegte sehr spät das Schlafzimmer zu verlassen, da sie während des Vormittags oft einer Migräne und allgemeiner Mißstimmung unterworfen war. Der Konsul begab sich dann sofort in die Mengstraße, wo die Comptoirs der Firma verblieben waren, nahm das zweite Frühstück im Zwischengeschoß gemeinsam mit seiner Mutter, Christian und Ida Jungmann und traf mit Gerda erst wieder um 4 Uhr beim Mittagessen zusammen.
Das geschäftliche Treiben bewahrte dem Erdgeschoß Leben und Bewegung; die Stockwerke aber des großen Mengstraßenhauses lagen nun recht leer und vereinsamt da. Die kleine Erika war von Mademoiselle Weichbrodt als interner Zögling aufgenommen worden, die arme Klothhilde hatte sich mit ihren vier oder fünf Möbeln bei der Witwe eines Gymnasiallehrers, einer Doktorin Krauseminz, in wohlfeile Pension gegeben, selbst der Bediente Anton hatte das Haus verlassen, um zu den jungen Herrschaften überzugehen, wo er nötiger war, und wenn Christian im Klub weilte, so saßen um 4 Uhr die Konsulin und Mamsell Jungmann an dem runden Tisch, in den kein einziges Brett mehr eingelassen war, und der sich in dem weiten Speisetempel mit seinen Götterbildern verlor, nun ganz allein bei einander.
Mit dem Tode des Konsuls Johann Buddenbrook war das gesellschaftliche Leben in der Mengstraße erloschen, und die Konsulin sah, abgesehen von dem Besuche dieses oder jenes Geistlichen, keine anderen Gäste mehr um sich, als am Donnerstag die Glieder ihrer Familie. Ihr Sohn aber und seine Gattin hatten bereits ihr erstes Diner hinter sich, ein Diner, bei {335} dem im Speise- und Wohnzimmer gedeckt worden war, ein Diner mit Kochfrau, Lohndienern und Kistenmakerschen Weinen, eine Mittagsgesellschaft, die um 5 Uhr begonnen, und deren Gerüche und Geräusche um 11 Uhr noch fortgeherrscht hatten, bei der alle Langhals', Hagenströms, Huneus', Kistenmakers, Oeverdiecks und Möllendorpfs zugegen gewesen waren, Kaufleute und Gelehrte, Ehepaare und Suitiers, die mit Whist und ein paar Ohren voll Musik geschlossen hatte, und von der man an der Börse noch acht Tage lang in den lobendsten Ausdrücken sprach. Wahrhaftig, es hatte sich gezeigt, daß die junge Frau Konsulin zu repräsentieren verstand … Der Konsul hatte an jenem Abend, allein geblieben mit ihr in den von hinabgebrannten Kerzen erleuchteten Räumen, zwischen den durcheinandergerückten Möbeln, in dem
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