Buddenbrooks
Wenn du eine Sache nur einsiehst und verstehst und sie beschreiben kannst … Nein, meine Geduld ist zu Ende, Christian!« Und der Konsul that einen raschen Schritt rückwärts, wobei er mit dem Arme wagerecht eine heftige Bewegung machte … »Sie ist zu Ende, sage ich dir! Du beziehst deine Procura, aber du kommst niemals ins Comptoir … das ist es nicht, was mich aufbringt. Gehe hin und verjökele dein Leben, wie du es bisher gethan! Aber du kompromittierst uns, uns Alle, wo du gehst und stehst! Du bist ein Auswuchs, eine ungesunde Stelle am Körper unserer Familie! Du bist vom Übel hier in dieser Stadt, und wenn dies Haus mein eigen wäre, so würde ich dich hinausweisen, da hinaus, zur Thüre hinaus!« schrie er, indem er eine wilde und weite Bewegung über den Garten, den Hof, die große Diele hin vollführte … Er hielt nicht mehr an sich. Eine lange aufgespeicherte Menge von Wut entlud sich …
»Was fällt dir ein, Thomas!« sagte Christian. Er hatte einen Anfall von Entrüstung, was sich ziemlich sonderbar ausnahm. Er stand da in der Haltung, die oft Krummbeinigen eigen ist, ein wenig geknickt, ein wenig fragezeichenartig, Kopf, Bauch und Kniee nach vorn geschoben, und seine runden, tiefliegenden Augen, die er so groß wie möglich machte, hatten sich, wie bei seinem Vater, wenn er zornig war, mit roten Rändern umgeben, die bis zu den Wangenknochen liefen. »Wie sprichst du zu mir!« sagte er. »Was habe ich dir gethan! Ich gehe schon von selbst, du brauchst mich nicht hinauszuwerfen. –
Pfui
!« fügte er mit aufrichtigem Vorwurf hinzu, und dieses Wort begleitete er mit einer kurzen, schnappenden Handbewegung nach vorn, als finge er eine Fliege.
Merkwürdigerweise entgegnete Thomas hierauf durchaus nicht noch heftiger, sondern senkte schweigend den Kopf und nahm dann langsam den Weg um den Garten wieder auf. Es schien ihn zu befriedigen, ihm geradezu wohlzuthun, seinen {353} Bruder endlich in Zorn gebracht … ihn endlich zu einer energischen Erwiderung, einem Protest vermocht zu haben.
»Du kannst mir glauben«, sagte er ruhig, indem er die Hände wieder auf dem Rücken zusammenlegte, »daß diese Unterredung mir aufrichtig leidthut, Christian, aber sie mußte einmal stattfinden. Solche Scenen innerhalb der Familie sind etwas Fürchterliches, aber aussprechen mußten wir uns einmal … und wir können ganz gelassen über die Dinge reden, mein Junge. Du gefällst dir nicht in deiner jetzigen Position, wie ich sehe, nicht wahr? …«
»Nein, Tom, das hast du richtig erkannt. Siehst du: zu Anfang war ich ja außerordentlich zufrieden … und ich habe es hier ja auch besser, als in einem fremden Geschäft. Aber was mir fehlt, ist die Selbständigkeit, glaube ich … Ich habe dich immer beneidet, wenn ich dich sitzen sah und arbeiten, denn es ist eigentlich gar keine Arbeit für dich; du arbeitest nicht, weil du mußt, sondern als Herr und Chef, und läßt Andere für dich arbeiten und machst deine Berechnungen und regierst und bist frei … Das ist ganz etwas Anderes …«
»Gut, Christian; hättest du das nicht schon früher sagen können? Es steht dir doch frei, dich selbstständig oder selbstständiger zu machen. Du weißt, daß Vater dir so gut wie mir ein vorläufiges Erbteil von 50 000 Courantmark ausgesetzt hat, und daß ich selbstverständlicher Weise in jeder Sekunde bereit bin, dir diese Summe zu einer vernünftigen und soliden Verwertung auszuzahlen. Es giebt, in Hamburg oder wo auch immer, sichere aber beschränkte Geschäfte genug, die einen Kapitalzufluß gebrauchen können, und in denen du als Teilhaber eintreten könntest … Laß uns, Jeder für sich, die Sache mal überlegen und gelegentlich auch mit Mutter darüber sprechen. Ich habe jetzt zu thun, und du könntest in diesen Tagen die englische Korrespondenz noch erledigen, bitte …«
»Wie denkst du zum Beispiel über H. C. F. Burmeester & {354} Comp. in Hamburg?« fragte er noch auf der Diele … »Import und Export … Ich kenne den Mann. Ich bin überzeugt, daß er zugreifen würde …«
*
Das war Ende Mai des Jahres siebenundfünfzig. Zu Beginn des Juni bereits reiste Christian über Büchen nach Hamburg ab … ein schwerer Verlust für den Klub, das Stadttheater, das »Tivoli« und die ganze freiere Geselligkeit der Stadt. Sämtliche »Suitiers«, darunter Doktor Gieseke und Peter Döhlmann, verabschiedeten ihn am Bahnhofe und überbrachten ihm Blumen und sogar Cigarren, wobei sie aus Leibeskräften
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