Buddenbrooks
während sie im Gespräch mit dem Gaste langsam die Knöpfe ihrer leichten Handschuhe schloß, war ruhig, sicher, fast feierlich … Sie hatte die Stimmung wiedergefunden, die ihr aus früheren Zeiten her wohlbekannt war. Das Gefühl ihrer Wichtigkeit, der Bedeutsamkeit der Entscheidung, die ihr anheimgestellt war, das Bewußtsein, daß abermals ein Tag gekommen sei, der es ihr zur Pflicht mache, mit ernstem Entschluß in die Geschichte ihrer Familie einzugreifen, erfüllte sie und machte ihr Herz höher schlagen. Diese Nacht hatte sie im Traume die Stelle in den Familienpapieren vor Augen gesehen, an der sie die Thatsache ihrer zweiten Verlobung zu vermerken gedachte … diese Thatsache, die jenen schwarzen Flecken, den die Blätter enthielten, tilgte und bedeutungslos machte, und nun freute sie sich mit Spannung auf den Augenblick, wo Tom erscheinen, und sie ihn mit ernsthaftem Nicken begrüßen würde …
Etwas verspätet, denn die junge Konsulin Buddenbrook war nicht gewohnt, so früh ihre Toilette zu beenden, traf der Konsul mit seiner Gattin ein. Er sah gut und munter aus in seinem hellbraunen, kleinkarrierten Anzug, dessen breite Revers den Rand der Sommerweste sehen ließen, und seine Augen lächelten, als er Tonys unvergleichlich würdevolle Miene gewahrte. Aber Gerda, deren ein wenig morbide und rätselhafte Schönheit einen seltsamen Gegensatz zu der hübschen Gesundheit ihrer Schwägerin bildete, zeigte durchaus keine Sonntags- und Ausflugsstimmung. Wahrscheinlich hatte sie nicht ausgeschlafen. Das satte Lila, das die Grundfarbe ihrer Robe ausmachte, und in höchst eigenartiger Weise mit dem Dunkelrot ihres schweren Haares zusammenklang, ließ ihren Teint noch weißer, noch matter erscheinen; tiefer und dunkler als sonst {377} lagerten in den Winkeln ihrer nahe bei einander liegenden braunen Augen bläuliche Schatten … Kalt bot sie ihrer Schwiegermutter die Stirn zum Kusse, reichte Herrn Permaneder mit ziemlich ironischem Ausdruck die Hand, und als Frau Grünlich bei ihrem Anblick die Hände zusammenschlug und mit lauter Stimme ausrief: »Gerda, o Gott, wie
schön
bist du wieder –!« antwortete sie lediglich mit einem ablehnenden Lächeln.
Sie hegte eine tiefe Abneigung gegen Unternehmungen wie die heutige: zumal im Sommer, und nun gar am Sonntag. Sie, deren Wohnräume meistens verhängt, im Dämmerlicht lagen, und die selten ausging, fürchtete die Sonne, den Staub, die festtäglich gekleideten Kleinbürger, den Geruch von Kaffee, Bier, Tabak … und über alles in der Welt verabscheute sie die Erhitzung, das Dérangement. »Mein lieber Freund«, hatte sie beiläufig zu Thomas gesagt, als die Ausfahrt nach Schwartau und dem »Riesebusch« verabredet worden war, damit der Münchener Gast auch ein wenig von der Umgebung der alten Stadt kennen lerne – »du weißt: wie Gott mich gemacht hat, bin ich auf Ruhe und Alltag angewiesen … In diesem Falle ist man für Anregung und Abwechslung nicht geschaffen. Nicht wahr, ihr dispensiert mich …«
Sie würde ihn nicht geheiratet haben, wenn sie nicht bei solchen Dingen im Wesentlichen seiner Zustimmung sicher gewesen wäre.
»Ja, lieber Gott, du hast natürlich recht, Gerda. Daß man sich bei derartigen Sachen amüsiert, ist meistens bloß Einbildung … Aber man macht sie eben mit, weil man vor den Anderen und sich selbst nicht gern als Sonderling erscheinen möchte. Diese Eitelkeit hegt Jeder, du nicht? … Man gerät sonst leicht in einen Schein von Vereinsamung und Unglück und büßt an Achtung ein. Und dann noch Eins, liebe Gerda … Wir Alle haben Ursache, dem Herrn Permaneder ein bißchen den Hof {378} zu machen. Ich zweifle nicht, daß du die Situation übersiehst. Es entwickelt sich da etwas, und es wäre schade, ganz einfach schade, käme es nicht zu stande …«
»Ich sehe nicht ein, lieber Freund, in wiefern meine Gegenwart … aber gleichviel. Da du es wünschest, so sei es. Lassen wir dies Vergnügen über uns ergehen.«
»Ich werde dir aufrichtig verbunden sein.« –
- Man trat auf die Straße hinaus … Wahrhaftig, schon jetzt begann die Sonne durch den Morgendunst zu dringen; sonntäglich läuteten die Glocken von Sankt Marien, und Vogelgezwitscher erfüllte die Luft. Der Kutscher zog den Hut, und mit dem patriarchalischen Wohlwollen, das Thomas manchmal ein bißchen in Verlegenheit brachte, nickte die Konsulin ein überaus herzliches »Guten Morgen, lieber Mann!« zu ihm hinauf. »Also eingestiegen denn nun, ihr
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