Buddenbrooks
Stimme: »Wünsch' recht an guat'n Morg'n!« – Worauf die Senatorin Möllendorpf ihr Lorgnon zur Hand nahm … Tony ihrerseits zog ein wenig die Schultern empor, legte den Kopf zurück, suchte trotzdem das Kinn auf die Brust zu drücken und grüßte gleichsam von einer unabsehbaren Höhe herab, wobei sie genau über Julchen Möllendorpfs breitrandigen und eleganten Hut hinwegblickte … In dieser Minute setzte sich ihr Entschluß endgültig und unerschütterlich in ihr fest …
»Gott sei Lob und tausend Dank, Tom, daß wir erst in einer Stunde frühstücken! Ich möchte mir von diesem Julchen nicht gern auf den Bissen sehen lassen, weißt du … Hast du beachtet, wie sie grüßte? Beinahe gar nicht. Dabei war meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ihr Hut ganz unmäßig geschmacklos …«
»Na, was den Hut betrifft … Und mit dem Grüßen warst du wohl auch nicht viel entgegenkommender, meine Liebe. Übrigens ärgere dich nicht; das macht Falten.«
»Ärgern, Tom? Ach nein! Wenn diese Leute meinen, sie seien die ersten an der Spritze, so ist das zum Lachen und weiter nichts. Was ist für ein Unterschied zwischen diesem Julchen und mir, wenn ich fragen darf? Daß sie kein Filou, sondern bloß einen ›Duschack‹ zum Manne bekommen hat, wie Ida sagen würde, und wenn sie einmal in meiner Lage wäre im Leben, so würde es sich ja erweisen, ob sie einen zweiten finden würde …«
»Was besagt, daß du deinerseits einen finden wirst?«
{384} »Einen Duschack, Thomas?«
»Sehr viel besser, als ein Filou.«
»Er braucht weder das Eine noch das Andere zu sein. Aber darüber spricht man nicht.«
»Richtig. Wir bleiben auch zurück. Herr Permaneder steigt mit élan …«
Der schattige Waldweg wurde eben, und es dauerte gar nicht lange, bis sie die »Quelle« erreicht hatten, einen hübschen, romantischen Punkt mit einer hölzernen Brücke über einem kleinen Abgrund, zerklüfteten Abhängen und überhängenden Bäumen, deren Wurzeln bloß lagen. Sie schöpften mit einem silbernen, zusammenschiebbaren Becher, den die Konsulin mitgebracht hatte, aus dem kleinen, steinernen Bassin gleich unterhalb der Austrittsstelle und erquickten sich mit dem frischen, eisenhaltigen Wasser, wobei Herr Permaneder einen kleinen Anfall von Galanterie hatte, indem er darauf bestand, daß Frau Grünlich ihm den Trunk kredenzte. Er war voll Dankbarkeit, wiederholte mehrmals: »A, des is fei nett!« und plauderte umsichtig und aufmerksam sowohl mit der Konsulin und Thomas, als mit Gerda und Tony und sogar mit der kleinen Erika … Selbst Gerda, die bislang unter fliegender Hitze gelitten und in einer Art von stummer und starrer Nervosität einhergegangen war, begann nun aufzuleben, und als man nach einem beschleunigten Rückwege wieder vor dem Wirtshause anlangte und sich auf der zweiten Stufe der Waldterrasse an einem überreichlich besetzten Tische niederließ, war sie es, die es in liebenswürdigen Wendungen bedauerte, daß Herrn Permaneders Abreise so nahe bevorstehe: jetzt, wo man einander ein wenig kennen gelernt, wo es zum Beispiel ganz leicht zu beobachten sei, daß auf beiden Seiten immer seltener Miß- und Nichtverständnisse des Dialektes wegen unterliefen … Sie könne die Behauptung vertreten, daß ihre Freundin und Schwägerin Tony zwei- oder dreimal mit Virtuosität »Pfüaht Gott!« gesagt habe …
{385} Herr Permaneder unterließ es, auf das Wort »Abreise« irgend eine bestätigende Antwort zu geben, sondern widmete sich vorderhand den Leckerbissen, von denen die Tafel strotzte, und die er jenseits der Donau nicht alle Tage bekam.
Sie verzehrten die guten Sachen mit Muße, wobei die kleine Erika sich beinahe am meisten über die Servietten aus Seidenpapier freute, die ihr unvergleichlich schöner schienen, als die großen leinenen zu Hause, und von denen sie mit Erlaubnis des Kellners, sogar einige zum Andenken in die Tasche steckte; und dann saß, während Herr Permaneder mehrere tiefschwarze Cigarren zum Biere und der Konsul seine Cigaretten rauchte, die Familie mit ihrem Gaste noch längere Zeit beisammen und plauderte; – bemerkenswert aber war, daß Niemand mehr der Abreise des Herrn Permaneder gedachte, und daß überhaupt die Zukunft völlig unberührt gelassen ward. Vielmehr tauschte man Erinnerungen aus, besprach die politischen Ereignisse der letzten Jahre, und Herr Permaneder berichtete, nachdem er über einige achtundvierziger Anekdoten, die die Konsulin ihrem verstorbenen Gatten
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