Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
etwas Abscheuliches richten mußte, was sich zeigte oder geschah … Im nächsten Augenblick stand der kleine Johann aufrecht im Bette, und während er unverständliche Worte stammelte, blickten seine weitgeöffneten, so eigenartig goldbraunen Augen ohne etwas von der Wirklichkeit wahrzunehmen, starr in eine gänzlich andere Welt hinein …
    »Nichts«, sagte Ida. »Der pavor. Ach, das ist manchmal noch viel ärger.« Und in aller Ruhe legte sie die Arbeit beiseite, ging mit ihren langen, schweren Schritten auf Hanno zu und legte ihn, während sie mit tiefer, beruhigender Stimme zu ihm sprach, wieder unter die Decke.
    »Ja, so, der pavor …« wiederholte Frau Permaneder. »Wacht er nun?«
    Aber Hanno wachte keineswegs, obgleich seine Augen weit und starr blieben und seine Lippen fortfuhren, sich zu bewegen …
    »Wie? So … so … Nun hören wir auf, zu plappern …
Was
sagst du?« fragte Ida; und auch Frau Permaneder trat näher, um auf dies unruhige Murmeln und Stammeln zu horchen.
    »Will ich … in mein … Gärtlein gehn …« sagte Hanno mit schwerer Zunge, »will mein' Zwiebeln gießen …«
    »Er sagt seine Gedichte her«, erklärte Ida Jungmann mit Kopfschütteln. »So, so! Genug, schlaf nun, mein Jungchen! …«
    »Steht ein … buckligt Männlein da, … fängt als an zu niesen …« sagte Hanno und seufzte dann. Plötzlich aber veränderte sich sein Gesichtsausdruck, seine Augen schlossen sich {509} halb, er bewegte den Kopf auf dem Kissen hin und her, und mit leiser, schmerzlicher Stimme fuhr er fort:
    »Der Mond der scheint,
    Das Kindlein weint,
    Die Glock schlägt zwölf,
    Daß Gott doch allen Kranken helf! …«
    Bei diesen Worten aber schluchzte er tief auf, Thränen traten hinter seinen Wimpern hervor, liefen langsam über seine Wangen … und hiervon erwachte er. Er umarmte Ida, sah sich mit nassen Augen um, murmelte befriedigt etwas von »Tante Tony«, schob sich ein wenig zurecht und schlief dann ruhig weiter.
    »Sonderbar!« sagte Frau Permaneder, als Ida sich wieder an den Tisch setzte. »Was für Gedichte waren das, Ida?«
    »Sie stehen in seinem Lesebuch«, antwortete Fräulein Jungmann, »und darunter ist gedruckt: ›Des Knaben Wunderhorn‹. Sie sind kurios … Er hat sie in diesen Tagen lernen müssen, und über das mit dem Männlein hat er viel gesprochen. Kennst du es? … Recht graulich ist es. Dies bucklige Männlein steht überall, zerbricht den Kochtopf, ißt das Mus, stiehlt das Holz, läßt das Spinnrad nicht gehen, lacht Einen aus … und dann, zum Schlusse, bittet es auch noch, man möge es in sein Gebet einschließen! Ja, das hat es dem Jungchen nun angethan. Er hat tagein – tagaus darüber nachgedacht. Weißt du, was er sagte? Zwei, dreimal hat er gesagt: ›Nicht wahr, Ida, es thut es nicht aus Schlechtigkeit, nicht aus Schlechtigkeit! … Es thut es aus Traurigkeit und ist dann noch trauriger darüber … Wenn man betet, so braucht es das Alles nicht mehr zu thun.‹ Und heute Abend noch, als seine Mama ihm Gute Nacht sagte, bevor sie ins Konzert ging, hat er sie gefragt, ob er auch für das bucklige Männlein beten solle …«
    »Und hat es auch gethan?«
    {510} »Nicht laut, aber wahrscheinlich im Stillen … Aber über das andere Gedicht, das ›Ammenuhr‹ heißt, hat er gar nicht gesprochen, sondern nur geweint. Er gerät so leicht ins Weinen, das Jungchen, und kann dann lange nicht aufhören …«
    »Aber, was ist denn so traurig darin?«
    »Weiß
ich
 … Über den Anfang, die Stelle, bei der er sogar eben im Schlafe schluchzte, kam er beim Aufsagen nie hinweg … und auch nachher über den Fuhrmann, der sich schon um drei von der Streu erhebt, hat er geweint …«
    Frau Permaneder lachte gerührt und machte dann ein ernstes Gesicht.
    »Aber ich will dir sagen, Ida, es ist nicht gut, ich halte es nicht für gut, daß ihm Alles so nahe geht. Der Fuhrmann steht um drei Uhr auf – nun, mein lieber Gott, dafür ist er ein Fuhrmann! Das Kind – so viel weiß ich schon – neigt dazu, Alle Dinge mit zu eindringlichen Augen anzusehen und sich Alles zu sehr zu Herzen zu nehmen … Das muß an ihm zehren, glaube mir. Man sollte einmal ernstlich mit Grabow sprechen … Aber das ist es eben«, fuhr sie fort, indem sie die Arme verschränkte, den Kopf zur Seite neigte und mißmutig mit der Fußspitze auf dem Boden trommelte; »Grabow wird alt, und, abgesehen davon: So herzensgut er ist, ein Biedermann, ein wirklich braver Mensch … was

Weitere Kostenlose Bücher