Buddenbrooks
solchen Gelegenheiten aufbegehrte und ausrief:
»Ach, Liebste, das Trumpfen auf diesen ›musikalischen Wert‹ scheint mir eine ziemlich dünkelhafte und geschmacklose Sache zu sein!«
Und sie erwiderte ihm:
»Thomas, ein für allemal, von der Musik als Kunst wirst du niemals etwas verstehen, und so intelligent du bist, wirst du niemals einsehen, daß sie mehr ist, als ein kleiner Nachtischspaß und Ohrenschmaus. In der Musik geht dir der Sinn für das Banale ab, der dir doch sonst nicht fehlt … und er ist das Kriterium des Verständnisses in der Kunst. Wie fremd dir die Musik ist, kannst du schon daraus ersehen, daß dein musikalischer Geschmack deinen übrigen Bedürfnissen und Anschauungen ja eigentlich gar nicht entspricht. Was freut dich in der Musik? Der Geist eines gewissen faden Optimismus, den du, wäre er in einem Buche eingeschlossen, empört oder ärgerlich belustigt, in die Ecke werfen würdest. Schnelle Erfüllung jedes kaum erregten Wunsches … Prompte, freundliche Befriedigung des kaum ein wenig aufgestachelten Willens … Geht es in der Welt etwa zu wie in einer hübschen Melodie? … Das ist läppischer Idealismus …«
Er verstand sie, er verstand, was sie sagte. Aber er vermochte ihr mit dem Gefühl nicht zu folgen und nicht zu begreifen, warum Melodien, die ihn ermunterten, oder rührten, null und nichtig sein – und Musikstücke, die ihn herb und verworren anmuteten, den höchsten musikalischen Wert besitzen sollten. Er stand vor einem Tempel, von dessen Schwelle Gerda ihn mit unnachsichtiger Gebärde verwies … und kummervoll sah er, wie sie mit dem Kinde darin verschwand.
Er ließ nichts merken von der Sorge, mit der er die Entfremdung beobachtete, die zwischen ihm und seinem kleinen Sohne zuzunehmen schien, und der Anschein, als bewürbe er sich {561} um des Kindes Gunst, wäre ihm furchtbar gewesen. Er hatte ja während des Tages nur wenig Muße, mit dem Kleinen zusammenzutreffen; gelegentlich der Mahlzeiten aber behandelte er ihn mit einer freundschaftlichen Cordialität, die einen Anflug von ermunternder Härte besaß. »Nun, Kamerad«, sagte er, indem er ihn ein paar mal auf den Hinterkopf klopfte und sich, seiner Frau gegenüber, neben ihn an den Speisetisch setzte … »Wie geht's! Was haben wir getrieben! Gelernt? … Und Klavier gespielt? Das ist recht! Aber nicht zu viel, sonst haben wir keine Lust mehr zum Übrigen und bleiben Ostern sitzen!« Keine Muskel in seinem Gesicht verriet dabei die besorgte Spannung, mit der er erwartete, wie Hanno seine Begrüßung aufnehmen, wie sie erwidern werde; nichts verriet etwas von dem schmerzlichen Sich zusammen ziehen seines Inneren, wenn das Kind einfach einen scheuen Blick aus seinen goldbraunen, umschatteten Augen zu ihm hingleiten ließ, der nicht einmal sein Gesicht erreichte, – und sich stumm über seinen Teller beugte.
Ungeheuerlich wäre es gewesen, sich über diese kindische Unbeholfenheit zu bekümmern. Während des Beisammenseins, in den Pausen etwa, beim Wechseln des Geschirrs, war es seine Pflicht, sich ein wenig mit dem Jungen zu beschäftigen, ihn ein bißchen zu prüfen, seinen praktischen Sinn für Thatsachen herauszufordern … Wieviel Einwohner besaß die Stadt? Welche Straßen führten von der Trave zur oberen Stadt hinauf? Wie hießen die zum Geschäft gehörigen Speicher? Frisch und schlagfertig hergesagt! – Aber Hanno schwieg. Nicht aus Trotz gegen seinen Vater, nicht um ihm wehe zu thun. Aber die Einwohner, die Straßen und selbst die Speicher, die ihm unter gewöhnlichen Umständen unendlich gleichgültig waren, flößten ihm, zum Gegenstand eines Examens erhoben, einen verzweifelten Widerwillen ein. Er mochte vorher ganz munter gewesen sein, mochte sogar mit seinem Vater geplaudert haben – sowie das Gespräch auch nur annähernd den Charakter einer {562} kleinen Prüfung annahm, sank seine Stimmung unter Null, brach seine Widerstandskraft vollständig zusammen. Seine Augen verschleierten sich, sein Mund nahm einen verzagten Ausdruck an, und was ihn beherrschte, war ein großes, schmerzliches Bedauern über die Unvorsichtigkeit, mit welcher Papa, der doch wissen mußte, daß solche Versuche zu nichts Gutem führten, nun sich selbst und Allen die Mahlzeit verdorben habe. Mit Augen, die in Thränen schwammen, sah er auf seinen Teller nieder. Ida stieß ihn an und flüsterte ihm zu … die Straßen, die Speicher. Aber ach, das war ja unnütz, ganz unnütz! Sie mißverstand ihn. Er wußte ja
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