Buddenbrooks
zurückzuhalten. Sie kam, kam über ihn, und er wehrte ihr nicht länger. Seine Muskeln spannten sich ab, ermattet und überwältigt sank sein Kopf auf die Schulter nieder, seine Augen schlossen sich, und ein wehmütiges, fast schmerzliches Lächeln unaussprechlicher Beseligung umspielte seinen Mund, während, mit Verschiebung und Pedal, umflüstert, umwoben, umrauscht und umwogt von den Läufen der Violine, sein Tremolo, dem er nun Baßläufe gesellte, nach H-dur hinüberglitt, sich ganz rasch zum fortissimo steigerte und dann mit einem kurzen, nachhalllosen Aufbrausen abbrach. –
Es war unmöglich, daß die Wirkung, die dieses Spiel auf Hanno selbst ausübte, sich auch auf die Zuhörer erstreckte. {558} Frau Permaneder zum Beispiel hatte von dem ganzen Aufwand nicht das Allermindeste verstanden. Wohl aber hatte sie des Kindes Lächeln gesehen, die Bewegung seines Oberkörpers, das selige Zur Seite sinken seines kleinen, zärtlich geliebten Kopfes … und dieser Anblick hatte sie in den Tiefen ihrer leicht gerührten Gutmütigkeit ergriffen.
»Wie spielt der Junge! Wie spielt das Kind!« rief sie aus, indem sie beinahe weinend auf ihn zueilte und ihn in die Arme schloß … »Gerda, Tom, er wird ein Mozart, ein Meyerbeer, ein …« und in Ermangelung eines dritten Namens von ähnlicher Bedeutung, der ihr nicht sogleich einfiel, beschränkte sie sich darauf, ihren Neffen, der, die Hände im Schoße, noch ganz ermattet und mit abwesenden Augen dasaß, mit Küssen zu bedecken.
»Genug, Tony, genug!« sagte der Senator leise. »Ich bitte dich, was setzest du ihm in den Kopf …«
7.
Thomas Buddenbrook war in seinem Herzen nicht einverstanden mit dem Wesen und der Entwicklung des kleinen Johann.
Er hatte einst, allem Kopfschütteln schnell verblüffter Philister zum Trotz, Gerda Arnoldsen heimgeführt, weil er sich stark und frei genug gefühlt hatte, unbeschadet seiner bürgerlichen Tüchtigkeit einen distinguierteren Geschmack an den Tag zu legen, als den allgemein üblichen. Aber sollte nun das Kind, dieser lange vergebens ersehnte Erbe, der doch äußerlich und körperlich manche Abzeichen seiner väterlichen Familie trug, so ganz und gar dieser Mutter gehören? Sollte er, von dem er erhofft hatte, daß er einst mit glücklicherer und unbefangenerer Hand die Arbeit seines Lebens fortführen werde, der ganzen Umgebung, in der er zu leben und zu wirken berufen, ja seinem Vater selbst, innerlich und von Natur aus fremd und befremdend gegenüberstehen?
{559} Gerdas Geigenspiel hatte für Thomas bislang, übereinstimmend mit ihren seltsamen Augen, die er liebte, zu ihrem schweren dunkelroten Haar und ihrer ganzen außerordentlichen Erscheinung, eine reizvolle Beigabe mehr zu ihrem eigenartigen Wesen bedeutet; jetzt aber, da er sehen mußte, wie die Leidenschaft der Musik, die ihm fremd war, so früh schon, so von Anbeginn und von Grund aus sich auch seines Sohnes bemächtigte, wurde sie ihm zu einer feindlichen Macht, die sich zwischen ihn und das Kind stellte, aus dem seine Hoffnungen doch einen echten Buddenbrook, einen starken und praktisch gesinnten Mann mit kräftigen Trieben nach Außen, nach Macht und Eroberung machen wollten. Und in der reizbaren Verfassung, in der er sich befand, schien es ihm, als drohe diese feindselige Macht, ihn zu einem Fremden in seinem eigenen Hause zu machen.
Er war nicht imstande, sich der Musik, wie Gerda und ihr Freund, dieser Herr Pfühl, sie betrieben, zu nähern, und Gerda, exklusiv und unduldsam in Dingen der Kunst, erschwerte ihm noch diese Annäherung in wirklich grausamer Weise.
Nie hatte er geglaubt, daß das Wesen der Musik seiner Familie so gänzlich fremd sei, wie es jetzt den Anschein gewann. Sein Großvater hatte gern ein wenig die Flöte geblasen, und er selbst hatte immer mit Wohlgefallen auf hübsche Melodien, die entweder eine leichte Grazie oder einige beschauliche Wehmut oder eine munter stimmende Schwunghaftigkeit an den Tag legten, gelauscht. Gab er aber seinem Geschmack an irgend einem derartigen Gebilde Ausdruck, so konnte er gewärtig sein, daß Gerda die Achseln zuckte und mit einem mitleidigen Lächeln sagte: »Wie ist es möglich, mein Freund! Ein Ding so ganz ohne musikalischen Wert …«
Er haßte diesen »musikalischen Wert«, dieses Wort, mit dem sich für ihn kein anderer Begriff verband, als der eines kalten Hochmutes. Es trieb ihn, sich, während Hanno dabeisaß, da {560} gegen zu erheben. Mehr als einmal geschah es, daß er bei
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