Buddenbrooks
grenzenlosen, angst- und liebevollen Gefügigkeit und Hingebung:
»Hier bin ich!« … und verschied.
Alle waren zusammengeschrocken. Was war Das gewesen? Wer hatte gerufen, daß sie sofort gefolgt war?
Jemand zog den Fenstervorhang zurück und löschte die Kerzen, während Doktor Grabow mit mildem Gesicht der Toten die Augen schloß.
Alle fröstelten in dem fahlen Herbstmorgen, der nun das Zimmer erfüllte. Schwester Leandra verkleidete den Toilettenspiegel mit einem Tuche.
2.
Durch die offene Thür sah man im Sterbezimmer Frau Permaneder im Gebete liegen. Sie befand sich allein und kniete, ihre Trauergewänder um sich her auf dem Boden ausgebreitet, in der Nähe des Bettes, an einem Stuhle, indem sie die fest gefalteten Hände auf dem Sitze ruhen ließ und gebeugten Hauptes murmelte … Sie hörte sehr wohl, daß ihr Bruder und ihre Schwägerin das Frühstückszimmer betraten, in dessen Mitte sie unwillkürlich stehen blieben, um das Ende der Andacht zu erwarten; aber sie beeilte sich deswegen nicht sonderlich, ließ {627} zum Schlusse ihr trockenes Räuspern ertönen, nahm mit langsamer Feierlichkeit ihr Kleid zusammen, erhob sich und ging ihren Verwandten ohne eine Spur von Verwirrung in vollkommen würdiger Haltung entgegen.
»Thomas«, sagte sie nicht ohne Härte, »was die Severin betrifft, so scheint es mir, daß die selige Mutter eine Natter an ihrem Busen genährt hat.«
»Wieso?«
»Ich bin voll Ärger über sie. Man könnte die Fassung verlieren und sich vergessen … Hat dies Weib ein Recht, Einem den Schmerz dieser Tage in so ordinärer Weise zu vergällen?«
»Aber was ist es denn?«
»Erstens einmal ist sie von einer empörenden Habsucht. Sie geht an den Schrank, nimmt Mutters seidene Kleider heraus, packt sie über den Arm und will sich zurückziehen. ›Rieckchen‹, sage ich, ›wohin damit?‹ – ›Das hat Frau Konsul mir versprochen!‹ – ›Liebe Severin!‹ sage ich und gebe ihr in aller Zurückhaltung das Voreilige ihrer Handlungsweise zu bedenken. Meinst du, daß es etwas nützt? Sie nimmt nicht nur die seidenen Kleider, sie nimmt auch noch ein Paket Wäsche und geht. Ich kann mich doch nicht mit ihr prügeln, nicht wahr? … Und nicht sie allein … auch die Mädchen … Waschkörbe voll Kleider und Leinenzeug werden aus dem Hause geschafft … Das Personal teilt sich unter meinen Augen in die Sachen, denn die Severin hat die Schlüssel zu den Schränken. ›Fräulein Severin!‹ sage ich, ›ich wünsche die Schlüssel.‹ Was antwortet sie mir? Sie erklärt mir mit deutlichen und gewöhnlichen Worten, ich hätte ihr nichts zu sagen, sie stände nicht bei mir in Dienst, ich hätte sie nicht engagiert, sie werde die Schlüssel behalten, bis sie gehe!«
»Hast du die Schlüssel zum Silberzeug? – Gut. Laß dem Übrigen seinen Lauf. Dergleichen ist unvermeidlich, wenn ein Haushalt aufgelöst wird, in dem zuletzt so wie so schon ein {628} bißchen lax regiert wurde. Ich will jetzt keinen Lärm machen. Das Weißzeug ist alt und defekt … Übrigens werden wir ja sehen, was noch da ist. Hast du die Verzeichnisse? Auf dem Tische? Gut. Wir werden ja gleich sehen.«
Und sie traten in das Schlafzimmer, um ein Weilchen still neben einander an dem Bette stehen zu bleiben, nachdem Frau Antonie das weiße Tuch vom Gesicht der Toten genommen hatte. Die Konsulin war schon in dem seidenen Gewand, in welchem sie heute Nachmittag im Saale droben aufgebahrt werden sollte; es war achtundzwanzig Stunden nach ihrem letzten Atemzuge. Mund und Wangen waren, da die künstlichen Zähne fehlten, greisenhaft eingefallen, und das Kinn schob sich schroff und eckig aufwärts. Alle drei bemühten sich schmerzlich, während sie auf diese unerbittlich tief und fest geschlossenen Augenlider blickten, in diesem Antlitz das ihrer Mutter wieder zu erkennen. Aber unter der Haube, die die alte Dame Sonntags getragen, saß wie im Leben das rötlich braune, glattgescheitelte Toupé, über das die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße sich so oft lustig gemacht hatten … Blumen lagen verstreut auf der Steppdecke.
»Es sind schon die prachtvollsten Kränze gekommen«, sagte Frau Permaneder leise. »Von allen Familien … ach, einfach von aller Welt! Ich habe Alles auf den Korridor hinaufschaffen lassen; ihr müßt es euch später ansehen, Gerda und Tom. Es ist traurig schön. Atlasschleifen von dieser Größe …«
»Wie weit ist es mit dem Saal?« fragte der Senator.
»Bald fertig, Tom. Fast
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