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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zu den Glücklichen gehören. Das beschwerliche Greisenalter nahte heran, es war da, wie gesagt, seine Grube war geschaufelt. Er {655} konnte Abends kaum noch sein Glas Grog zum Munde führen, ohne die Hälfte zu verschütten, so machte der Teufel seinen Arm zittern. Da nützte kein Fluchen … Der Wille triumphierte nicht mehr … Immerhin! Er hatte ein Leben hinter sich, ein nicht ganz armes Leben. Mit wachen Augen hatte er in die Welt gesehen. Revolutionen und Kriege waren vorübergebraust, und ihre Wogen waren auch durch sein Herz gegangen … sozusagen. Ha, verdammt, das waren andere Zeiten gewesen, als er während jener historischen Bürgerschaftssitzung an der Seite von des Senators Vater, neben Konsul Johann Buddenbrook dem Ansturm des wütenden Pöbels getrotzt hatte! Der schrecklichste der Schrecken … Nein, sein Leben war nicht arm gewesen, auch innerlich nicht so ganz. Verdammt, er hatte Kräfte verspürt, und wie die Kraft, so das Ideal – sagt Feuerbach. Und auch jetzt noch, auch jetzt … seine Seele war nicht verarmt, sein Herz war jung geblieben, es hatte nie aufgehört, würde nie aufhören, grandioser Erlebnisse fähig zu sein, seine Ideale warm und treu zu umschließen … Es würde sie mit ins Grab nehmen, gewiß! Aber waren Ideale dazu da, erreicht und verwirklicht zu werden? Keineswegs! Die Sterne, die begehrt man nicht, aber die Hoffnung … oh, die Hoffnung, nicht die Erfüllung, die Hoffnung war das Beste im Leben. L'espérance toute trompeuse qu'elle est, sert au moins à nous mener à la fin de la vie par un chemin agréable. Das hatte Larochefoucauld gesagt, und es war schön, nicht wahr? … Ja, sein hochverehrter Freund und Gönner brauchte dergleichen nicht zu wissen! Wen die Wogen des realen Lebens hoch auf ihre Schultern genommen hatten, daß das Glück seine Stirn umspielte, der brauchte solche Dinge nicht im Kopfe zu haben. Aber wer einsam tief unten im Dunkel träumte, der hatte dergleichen nötig! …
    »Sie sind glücklich«, sagte er plötzlich, indem er eine Hand auf des Senators Knie legte und mit schwimmendem Blick zu {656} ihm emporsah. »… O doch! Versündigen Sie sich nicht, indem Sie das leugnen! Sie sind glücklich! Sie halten das Glück in den Armen! Sie sind ausgezogen und haben es sich mit starkem Arm erobert … mit starker Hand!« verbesserte er sich, weil er die zu schnelle Wiederholung des Wortes »Arm« nicht ertragen konnte. Dann verstummte er, und ohne ein Wort von des Senators abwehrender und resignierter Antwort zu vernehmen, fuhr er fort, ihm mit einer dunklen Träumerei ins Gesicht zu blicken. Plötzlich richtete er sich auf.
    »Aber wir plaudern«, sagte er, »und doch sind wir in Geschäften zusammengekommen. Die Zeit ist kostbar – verlieren wir sie nicht mit Bedenken! Hören Sie mich an … Weil
Sie
es sind … verstehen Sie mich? Weil …« Es sah aus, als wollte Herr Gosch aufs Neue in ein schönes Sinnen versinken, aber er raffte sich auf und rief mit einer weiten, schwungvollen und enthusiastischen Geste:
    »Neunundzwanzigtausend Thaler … Siebenundachtzigtausend Mark Courant für das Haus Ihrer Mutter! Top? …«
    Und Senator Buddenbrook schlug ein.
    *
    Frau Permaneder fand, wie zu erwarten stand, den Kaufpreis zum Lachen gering. Würde Jemand, in Anbetracht der Erinnerungen, die sich für sie daran knüpften, eine Million für das Haus auf den Tisch gezählt haben, sie hätte dies als eine anständige Handlungsweise empfunden – weiter nichts. Indessen gewöhnte sie sich rasch an die Zahl, die ihr Bruder ihr genannt hatte, besonders, da ihr Denken und Trachten von Zukunftsplänen in Anspruch genommen war.
    Sie freute sich von Herzen über die vielen guten Möbel, die ihr zugefallen waren, und obgleich fürs Erste niemand daran dachte, sie aus ihrem Elternhause zu verjagen, betrieb sie das Auffinden und Mieten einer neuen Wohnung für sich und die {657} Ihren mit vielem Eifer. Der Abschied würde schwer sein … gewiß, der Gedanke daran trieb ihr die Thränen in die Augen. Aber andererseits hatte die Aussicht auf Neuerung und Veränderung doch ihren Reiz … War es nicht fast wie eine neue, eine vierte Etablierung? Wieder besichtigte sie Wohnräume, wieder nahm sie Rücksprache mit dem Tapezierer Jacobs, wieder unterhandelte sie in den Läden über Portièren und Läuferstoffe … Ihr Herz pochte, wahrhaftig, das Herz dieser alten, vom Leben gestählten Frau schlug höher!
    So vergingen Wochen, vier, fünf und sechs

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