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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Freund und Bewunderer, der sich in öffentlichen Fragen jede seiner Meinungen zu eigen machte. Er besaß einen rundgeschnittenen, ergrauenden Vollbart, furchtbar dicke Augenbrauen und eine lange, poröse Nase. Vor ein paar Jahren hatte er sich, nachdem er ein gutes Stück Geld verdient, von dem Weingeschäft zurückgezogen, das nun sein Bruder Eduard auf eigene Hand weiterführte. Seitdem lebte er als Privatier; da er sich dieses Standes im Grunde aber ein wenig schämte, so that er beständig, als habe er unüberwindlich viel zu thun. »Ich reibe mich auf!« sagte er und strich mit der Hand über seinen grauen, mit der Brennschere gewellten Scheitel. »Aber wozu ist der Mensch auf der Welt, als um sich aufzureiben?« Stunden lang stand er mit wichtigen Gebärden an der Börse, ohne dort das Geringste zu suchen zu haben. Er bekleidete eine Menge von gleichgültigen Ämtern. Kürzlich hatte er sich zum Direktor der städtischen Badeanstalt gemacht. Er fungierte emsig als Geschworener, als Makler, als Vormund, als Testamentsvollstrecker und wischte sich den Schweiß von der Stirn …
    {745} »Es ist doch Sitzung, Buddenbrook«, wiederholte er, »und du gehst spazieren?«
    »Ach, du bist es«, sagte der Senator leise und mit widerwillig sich bewegenden Lippen … »Ich kann Minuten lang nichts sehen. Ich habe wahnsinnige Schmerzen.«
    »Schmerzen? Wo?«
    »Zahnschmerzen. Seit gestern schon. Ich habe in der Nacht kein Auge zugethan … Ich war noch nicht beim Arzt, weil ich heute Vormittag im Geschäft zu thun hatte und dann die Sitzung nicht versäumen wollte. Nun konnte ich es doch nicht aushalten und bin auf dem Wege zu Brecht …«
    »Wo sitzt es denn?«
    »Hier unten links … Ein Backenzahn … Er ist natürlich hohl … Es ist unerträglich … Adieu, Kistenmaker! Du begreifst, daß ich Eile habe …«
    »Ja, meinst du, daß ich
keine
habe? Fürchterlich viel zu thun … Adieu! Gute Besserung übrigens! Laß ihn ausziehen! Immer gleich raus damit, das ist das Beste …«
    Thomas Buddenbrook ging weiter und biß die Kiefer zusammen, obgleich dies die Sache nur verschlimmerte. Es war ein wilder, brennender und bohrender Schmerz, eine boshafte Pein, die sich von einem kranken Backenzahn aus der ganzen linken Seite des Unterkiefers bemächtigt hatte. Die Entzündung pochte darin mit glühenden Hämmerchen und machte, daß ihm die Fieberhitze ins Gesicht und die Thränen in die Augen schossen. Die schlaflose Nacht hatte seine Nerven schrecklich angegriffen. Er hatte sich eben beim Sprechen zusammennehmen müssen, damit seine Stimme sich nicht breche.
    In der Mühlenstraße betrat er ein mit gelbbrauner Ölfarbe gestrichenes Haus und stieg zum ersten Stockwerk empor, woselbst an der Thür auf einem Messingschild »Zahnarzt Brecht« zu lesen war. Er sah das Dienstmädchen nicht, das ihm {746} öffnete. Auf dem Korridor roch es warm nach Beefsteak und Blumenkohl. Dann plötzlich atmete er die scharf riechende Luft des Wartezimmers, in das man ihn nötigte. »Nehmen Sie Platz … einen Momang!« schrie die Stimme eines alten Weibes. Es war Josephus, der im Hintergrunde des Raumes in seinem blanken Bauer saß und ihm mit kleinen, giftigen Augen schief und tückisch entgegenstarrte.
    Der Senator setzte sich an den runden Tisch und versuchte, die Witze in einem Band »Fliegender Blätter« auf sich wirken zu lassen, schlug dann aber das Buch mit Ekel zu, drückte das kühle Silber seiner Stockkrücke gegen die Wange, schloß seine brennenden Augen und stöhnte. Rings war Alles still, und nur Josephus biß mit Knacken und Knirschen in das ihn umgebende Gitter. Herr Brecht war es sich schuldig, auch wenn er unbeschäftigt war, eine Weile warten zu lassen.
    Thomas Buddenbrook stand hastig auf und trank an einem Tischchen aus einer dort aufgestellten Karaffe ein Glas Wasser, das nach Chloroform roch und schmeckte. Dann öffnete er die Thür zum Corridor und rief mit gereizter Betonung hinaus, wenn nicht dringende Abhaltung vorhanden sei, möge Herr Brecht die Güte haben, sich ein wenig zu beeilen. Er habe Schmerzen.
    Gleich darauf erschien der grau mêlierte Schnurrbart, die Hakennase und die kahle Stirn des Zahnarztes in der Thür zum Operationszimmer. »Bitte«, sagte er. »Bitte!« schrie auch Josephus. Der Senator folgte der Einladung ohne zu lachen. Ein schwerer Fall! dachte Herr Brecht und verfärbte sich …
    Sie gingen beide rasch durch das helle Zimmer zu dem großen, verstellbaren Stuhl mit Kopfpolster und

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