Buddenbrooks
einen blutigen Verband von seinem Gesicht und tauchte einen neuen in ein Schälchen, das auf dem Nachttische stand. Dann horchte er an der Brust des Kranken und fühlte den Puls … Auf dem Wäschepuff, zu Füßen des Bettes, saß der kleine Johann, drehte an seinem Schifferknoten und horchte mit grübleri {752} schem Gesichtsausdruck hinter sich auf die Laute, die sein Vater ausstieß. Die besudelten Kleidungsstücke hingen irgendwo über einem Stuhle.
Frau Permaneder kauerte sich zur Seite des Bettes nieder, ergriff die Hand ihres Bruders, die kalt und schwer war, und starrte in sein Gesicht … Sie begann zu begreifen, daß, wußte der liebe Gott nun, was er that, oder nicht, er jedenfalls dennoch »das Schlimmste« wollte.
»Tom!« jammerte sie. »Erkennst du mich nicht? Wie ist dir? Willst du von uns gehen? Du willst doch nicht von uns gehen?! Ach, es
darf
nicht sein …!«
Nichts erfolgte, was einer Antwort ähnlich gewesen wäre. Sie blickte hülfesuchend zu Doktor Langhals auf. Er stand da, hielt seine schönen Augen gesenkt und drückte in seiner Miene, nicht ohne einige Selbstgefälligkeit, den Willen des lieben Gottes aus …
Ida Jungmann kam wieder herein, um zu helfen, wo es zu helfen gab. Der alte Doktor Grabow erschien persönlich, drückte mit langem und mildem Gesichte Allen die Hand, betrachtete kopfschüttelnd den Kranken und that genau, was auch Doktor Langhals schon gethan hatte … Die Kunde hatte sich mit Windeseile in der ganzen Stadt verbreitet. Beständig schellte es drunten am Windfang, und Fragen nach dem Befinden des Senators drangen ins Schlafzimmer. Es war unverändert, unverändert … jeder bekam die gleiche Antwort.
Die beiden Ärzte hielten dafür, daß auf jeden Fall für die Nacht eine barmherzige Schwester herbeigeschafft werden müsse. Es wurde nach Schwester Leandra geschickt, und sie kam. Es war keine Spur von Überraschung und Schrecken in ihrem Gesicht, als sie eintrat. Sie legte auch dies Mal still ihr Ledertäschchen, ihre Haube und ihren Umhang beiseite und ging mit sanften und freundlichen Bewegungen an ihre Arbeit.
Der kleine Johann saß Stunde für Stunde auf seinem Puff, sah {753} alles an und horchte auf die gurgelnden Laute. Er hätte sich eigentlich zum Privatunterricht im Rechnen begeben müssen, aber er begriff, daß dies Ereignisse waren, vor denen die Kammgarnröcke verstummen mußten. Auch seiner Schulaufgaben gedachte er nur kurz und mit Spott … Manchmal, wenn Frau Permaneder zu ihm trat und ihn an sich preßte, vergoß er Thränen; aber meistens blinzelte er trockenen Auges mit einem abgestoßenen und grüblerischen Gesichtsausdruck darein, unregelmäßig und vorsichtig atmend, als erwarte er den Duft, den fremden und doch so seltsam vertrauten Duft …
Gegen vier Uhr faßte Frau Permaneder einen Entschluß. Sie veranlaßte den Doktor Langhals, ihr ins Nebenzimmer zu folgen, verschränkte die Arme und legte den Kopf zurück, wobei sie trotzdem versuchte, das Kinn auf die Brust zu drücken.
»Herr Doktor«, sagte sie, »Eines steht in Ihrer Macht, und darum bitte ich Sie! Schenken Sie mir reinen Wein ein, thun Sie es! Ich bin eine vom Leben gestählte Frau … Ich habe gelernt, die Wahrheit zu ertragen, glauben Sie mir! … Wird mein Bruder morgen am Leben sein? Reden Sie offen!«
Und Doktor Langhals wandte seine schönen Augen ab, besah seine Fingernägel und sprach von menschlicher Ohnmacht, sowie von der Unmöglichkeit, die Frage zu entscheiden, ob Frau Permaneders Herr Bruder die Nacht überleben werde oder in der nächsten Minute abberufen werden würde …
»Dann weiß ich, was ich zu thun habe«, sagte sie, ging hinaus und schickte zu Pastor Pringsheim.
In halbem Ornat, ohne Halskrause aber in langem Talar, erschien er, streifte Schwester Leandra mit einem kalten Blick und ließ sich am Bette auf den Stuhl nieder, den man ihm zuschob. Er bat den Kranken, ihn zu erkennen und ihm ein wenig Gehör zu schenken; da dieser Versuch aber fruchtlos blieb, so wandte er sich direkt an Gott, redete ihn in stilisiertem Fränkisch an und sprach zu ihm mit modulierender Stimme in {754} bald dunklen, bald jäh accentuierten Lauten, indeß finsterer Fanatismus und milde Verklärung auf seinem Gesichte wechselten … Während er das R auf eine eigenartig fette und gewandte Art am Gaumen rollte, gewann der kleine Johann die deutliche Vorstellung, daß er soeben Kaffee und Buttersemmeln zu sich genommen haben müsse.
Er sagte, daß er und die
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