Buddenbrooks
irgend einen kuriosen Klang, dem er nicht wi {759} derstehen konnte. Er wiederholte ihn, schnob durch die Nase, beugte sich vornüber, zitterte, schluchzte und konnte nicht an sich halten. Anfangs konnte man glauben, daß er weine; aber es war nicht an dem. Die Erwachsenen sahen ihn ungläubig und fassungslos an. Dann schickte seine Mutter ihn schlafen …
9.
An einem Zahne … Senator Buddenbrook war an einem Zahne gestorben, hieß es in der Stadt. Aber, zum Donnerwetter, daran starb man doch nicht! Er hatte Schmerzen gehabt, Herr Brecht hatte ihm die Krone abgebrochen, und daraufhin war er auf der Straße einfach umgefallen. War dergleichen erhört? …
Aber das war nun gleich, es war seine Angelegenheit. Was man zunächst in der Sache zu thun hatte, war dies, daß man Kränze schickte, große Kränze, teure Kränze, Kränze, mit denen man Ehre einlegen konnte, die in den Zeitungsartikeln erwähnt werden würden und denen man ansah, daß sie von loyalen und zahlungsfähigen Leuten kamen. Sie wurden geschickt, sie strömten von allen Seiten herbei, von den Körperschaften sowohl wie von den Familien und Privatpersonen; Kränze aus Lorbeer, aus starkriechenden Blumen, aus Silber, mit schwarzen Schleifen und solchen in den Farben der Stadt, mit schwarzgedruckten Widmungen und solchen in goldenen Buchstaben. Und Palmenwedel, ungeheure Palmenwedel …
Alle Blumenhandlungen machten Geschäfte großen Stiles, nicht zum Wenigsten diejenige von Iwersen, gegenüber dem Buddenbrookschen Hause. Frau Iwersen schellte mehrmals des Tages am Windfang und brachte Arrangements in verschiedenen Gestalten, von Senator So und so, von Konsul So und so, von der und der Beamtenschaft … Einmal fragte sie, ob sie nicht vielleicht ein wenig hinauf dürfe und den Senator sehen? Ja, das dürfe sie, wurde ihr geantwortet, und sie folgte dem {760} Fräulein Jungmann über die Haupttreppe, indem sie stumme Blicke in das glänzende Treppenhaus hinaufgleiten ließ.
Sie ging schwer, denn sie war guter Hoffnung wie gewöhnlich. Ihre Erscheinung im Allgemeinen war mit den Jahren ein bißchen gemein geworden, aber die schmalgeschnittenen schwarzen Augen, sowie die malayischen Wangenknochen waren reizvoll, und man sah wohl, daß sie einstmals außerordentlich hübsch gewesen sein mußte. – Sie wurde in den Salon eingelassen, denn dort lag Thomas Buddenbrook aufgebahrt.
Er lag inmitten des weiten und lichten Gemaches, dessen Möbel fortgeschafft waren, in den weißseidenen Polstern des Sarges, in weiße Seide gekleidet und mit weißer Seide bedeckt, in einem strengen und betäubenden Duftgemisch von Tuberosen, Veilchen und hundert anderen Gewächsen. Zu seinen Häupten, in einem Halbkreise von silbernen Armleuchtern, auf umflorten Postamenten, stand Thorwaldsens Segnender Christus. Die Blumengebinde, die Kränze, Körbe und Sträuße, standen und lagen an den Wänden entlang, auf dem Fußboden und auf der Steppdecke; Palmenwedel lehnten an der Bahre und neigten sich über des Toten Füße. – Sein Gesicht war stellenweise zerschunden, und besonders die Nase zeigte Quetschungen. Aber sein Haupthaar war wie im Leben frisiert, und der Schnurrbart, von dem alten Herrn Wenzel noch einmal mit der Brennschere ausgezogen, überragte lang und starr seine weißen Wangen. Sein Kopf war ein wenig zur Seite gewandt, und zwischen seinen zusammengelegten Händen stak ein Elfenbeinkreuz.
Frau Iwersen blieb beinahe an der Thür stehen und blickte von dort aus blinzelnd zur Bahre hinüber; erst als Frau Permaneder, ganz in Schwarz gehüllt und verschnupft vom Weinen, vom Wohnzimmer aus, zwischen den Portièren erschien und sie mit sanften Worten zum Nähertreten einlud, wagte sie sich ein Stückchen weiter auf der parkettierten Fußbodenfläche {761} vorwärts. Sie stand, die Hände auf ihrem hervortretenden Leibe gefaltet, und blickte mit ihren schmalen, schwarzen Augen auf die Pflanzen, die Armleuchter, die Schleifen, all die weiße Seide und in Thomas Buddenbrooks Angesicht. Es wäre schwer gewesen, den Ausdruck ihrer bleichen und verwischten Wöchnerinnenzüge bei Namen zu nennen. Schließlich sagte sie »Ja …«, schluchzte einmal – ein einziges Mal – ganz kurz und undeutlich auf und wandte sich zum Gehen.
Frau Permaneder liebte solche Besuche. Sie wich nicht aus dem Hause und überwachte mit unermüdlichem Eifer die Huldigungen, die man der sterblichen Hülle ihres Bruders darzubringen sich drängte. Unter Anwendung ihrer Kehlkopfstimme
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