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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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hier Anwesenden nicht mehr um das Leben dieses Lieben und Teuren bäten, denn sie sähen, daß es des Herrn heiliger Wille sei, ihn zu sich zu nehmen. Nur um die Gnade einer sanften Erlösung flehten sie noch … Und dann sprach er mit wirksamer Pointierung noch zwei in solchen Fällen übliche Gebete und erhob sich. Er drückte Gerda Buddenbrooks und Frau Permaneders Hand, nahm den Kopf des kleinen Johann zwischen beide Hände und blickte ihm eine Minute lang zitternd vor Wehmut und Innigkeit auf die gesenkten Wimpern, grüßte Fräulein Jungmann, streifte Schwester Leandra nochmals mit einem kalten Blick und hielt seinen Abgang.
    Als Doktor Langhals zurückkehrte, der ein wenig nach Hause gegangen war, fand er Alles beim Alten. Er nahm nur eine kurze Rücksprache mit der Pflegerin und empfahl sich wieder. Auch Doktor Grabow sprach noch einmal vor, sah mit mildem Gesicht nach dem Rechten und ging. Thomas Buddenbrook fuhr fort, gebrochenen Auges die Lippen zu bewegen und gurgelnde Laute auszustoßen. Die Dämmerung fiel ein. Draußen gab es ein wenig winterliches Abendrot, und es beschien durchs Fenster sanft die besudelten Kleidungsstücke, die irgendwo über einem Stuhle hingen.
    Um fünf Uhr ließ Frau Permaneder sich zu einer Unbedachtsamkeit hinreißen. Ihrer Schwägerin gegenüber am Bette sitzend, begann sie plötzlich, unter Anwendung ihrer Kehlkopfstimme sehr laut und mit gefalteten Händen, einen Gesang zu sprechen … »Mach' End', o Herr«, sagte sie, und Alles hörte ihr {755} regungslos zu – »mach' Ende mit aller seiner Not; stärk' seine Füß' und Hände und laß bis in den Tod …« Aber sie betete so sehr aus Herzensgrund, daß sie sich immer nur mit dem Worte beschäftigte, welches sie grade aussprach, und nicht erwog, daß sie die Strophe gar nicht zu Ende wisse und nach dem dritten Verse jämmerlich stecken bleiben müsse. Das that sie, brach mit erhobener Stimme ab und ersetzte den Schluß durch die erhöhte Würde ihrer Haltung. Jedermann im Zimmer wartete und zog sich zusammen vor Geniertheit. Der kleine Johann räusperte sich so schwer, daß es wie Ächzen klang. Und dann war in der Stille nichts, als das agonierende Gurgeln Thomas Buddenbrooks zu vernehmen.
    Es war eine Erlösung, als das Folgmädchen meldete, nebenan sei etwas Essen aufgetragen. Als man aber in Gerdas Schlafzimmer anfing, ein wenig Suppe zu genießen, erschien Schwester Leandra in der Thür und winkte freundlich.
    Der Senator starb. Er schluchzte zwei oder drei Mal leise, verstummte und hörte auf, die Lippen zu bewegen. Das war die ganze Veränderung, die mit ihm vor sich ging; seine Augen waren schon vorher tot gewesen.
    Doktor Langhals, der wenige Minuten später zur Stelle war, setzte sein schwarzes Hörrohr auf die Brust der Leiche, horchte längere Zeit und sprach nach gewissenhafter Prüfung:
    »Ja, es ist zu Ende.«
    Und mit dem Ringfinger ihrer blassen, sanftmütigen Hand, schloß Schwester Leandra behutsam dem Toten die Augenlider.
    Da warf sich Frau Permaneder an dem Bett in die Kniee, drückte das Gesicht in die Steppdecke und weinte laut, gab sich rückhaltlos und ohne irgend etwas in sich zu dämpfen und zu unterdrücken, einem dieser erfrischenden Gefühlsausbrüche hin, die ihrer glücklichen Natur zu Gebote standen … Mit gänzlich nassem Gesicht, aber gestärkt, erleichtert und voll {756} kommen im seelischen Gleichgewicht, erhob sie sich und war sofort imstande der Todesanzeigen zu gedenken, die unverzüglich und in höchster Eile hergestellt werden mußten, – ein ungeheurer Posten vornehm gedruckter Todesanzeigen …
    Christian betrat die Bildfläche. Es verhielt sich so mit ihm, daß er die Nachricht von dem Sturz des Senators im Klub erhalten hatte und auch sogleich aufgebrochen war. Aus Furcht jedoch vor irgend einem gräßlichen Anblick hatte er einen weiten Spaziergang vors Thor unternommen, sodaß niemand ihn hatte finden können. Nun stellte er sich dennoch ein und erfuhr schon auf der Diele, daß sein Bruder verschieden sei.
    »Ist doch wohl nicht möglich!« sagte er und ging lahmend und mit wandernden Augen die Treppen hinauf.
    Dann stand er, zwischen Schwester und Schwägerin, am Sterbebette. Er stand dort, mit seinem kahlen Schädel, seinen eingefallenen Wangen, seinem hängenden Schnurrbart und seiner ungeheuren, gehöckerten Nase, auf krummen und mageren Beinen, ein wenig geknickt, ein wenig fragezeichenartig, und seine kleinen, tiefliegenden Augen blickten in des Bruders

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