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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gesicht, das so schweigsam, kalt, ablehnend und einwandfrei, so sehr jedem menschlichen Urteil unzugänglich erschien … Thomas' Mundwinkel waren mit beinahe verächtlichem Ausdruck nach unten gezogen. Er, dem Christian vorgeworfen hatte, daß er bei seinem Tode nicht weinen werde, er war seinerseits tot, er war ohne ein Wort zu sagen ganz einfach gestorben, hatte sich vornehm und intakt ins Schweigen zurückgezogen und überließ den Andern mitleidlos der Beschämung, wie so oft im Leben! Hatte er nun gut oder schnöde gehandelt, indem er den Leiden Christians, seiner »Qual«, dem nickenden Manne, der Spiritusflasche, dem offenen Fenster, stets nur kalte Verachtung entgegengesetzt hatte? Diese Frage fiel dahin, sie war sinnlos geworden, da der Tod in eigensinniger und unberechenbarer Parteilichkeit ihn, ihn ausgezeich {757} net und gerechtfertigt, ihn angenommen und aufgenommen, ihn ehrwürdig gemacht und ihm befehlshaberisch das allgemeine, scheue Interesse verschafft hatte, während er Christian verschmähte und nur fortfahren würde, ihn mit fünfzig Mätzchen und Chikanen zu hänseln, vor denen niemand Respekt hatte. Nie hatte Thomas Buddenbrook seinem Bruder mehr imponiert, als zu dieser Stunde. Der Erfolg ist ausschlaggebend. Der Anderen Achtung vor unseren Leiden verschafft uns nur der Tod, und auch die kläglichsten Leiden werden ehrwürdig durch ihn. Du hast recht bekommen, ich beuge mich, dachte Christian, und mit einer raschen, unbeholfenen Bewegung ließ er sich auf ein Knie nieder und küßte die kalte Hand auf der Steppdecke. Dann trat er zurück und begann, mit schweifenden Augen im Zimmer umher zu gehen.
    Andere Besucher, die alten Krögers, die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße, der alte Herr Marcus, stellten sich ein. Auch die arme Klothhilde kam, stand mager und aschgrau am Bette und faltete apathischen Angesichts ihre mit Zwirnhandschuhen bekleideten Hände. »Ihr müßt nicht glauben, Tony und Gerda«, sagte sie unendlich gedehnt und klagend, »daß ich kalten Herzens bin, weil ich nicht weine. Ich habe keine Thränen mehr …« Und Jedermann glaubte ihr das aufs Wort, so hoffnungslos verstaubt und ausgedörrt wie sie dastand …
    Schließlich räumten Alle das Feld vor einer Frauensperson, einem unsympathischen alten Geschöpf mit kauendem, zahnlosem Munde, die angekommen war, um zusammen mit Schwester Leandra die Leiche zu waschen und umzukleiden.
    *
    Zu vorgerückter Abendstunde noch saßen im Wohnzimmer Gerda Buddenbrook, Frau Permaneder, Christian und der kleine Johann unter der großen Gaslampe um den runden Mit {758} teltisch und arbeiteten emsig. Es galt die Liste derjenigen Leute zusammenzustellen, die Todesanzeigen bekommen mußten, und die Adressen auf die Briefumschläge zu schreiben. Alle Federn knirschten. Dann und wann hatte jemand einen Einfall und setzte einen neuen Namen auf die Liste … Auch Hanno mußte helfen, denn er schrieb reinlich, und die Zeit drängte.
    Es war still im Hause und auf der Straße. Selten wurden Schritte laut und verhallten. Die Gaslampe puffte leise, ein Name ward gemurmelt, das Papier knisterte. Zuweilen blickten Alle einander an und erinnerten sich dessen, was geschehen war.
    Frau Permaneder kritzelte in höchster Geschäftigkeit. Aber wie ausgerechnet in jeder fünften Minute legte sie die Feder fort, erhob die zusammengelegten Hände bis zur Höhe des Mundes und brach in Klagerufe aus. »Ich fasse es nicht!« rief sie und deutete damit an, daß sie allmählich zu fassen beginne, was eigentlich vor sich gegangen war. »Aber es ist ja nun Alles aus!« rief sie ganz unerwartet in heller Verzweiflung und schlang laut weinend die Arme um den Hals ihrer Schwägerin, worauf sie gestärkt ihre Thätigkeit wieder aufnahm.
    Mit Christian stand es ähnlich, wie mit der armen Klothhilde. Er hatte noch nicht Eine Thräne vergossen und schämte sich dessen ein wenig. Das Gefühl der Blamiertheit überwog in ihm jegliche andere Empfindung. Auch hatte die beständige Beschäftigung mit den eigenen Zuständen und Sonderbarkeiten ihn abgenutzt und stumpf gemacht. Hie und da richtete er sich auf, strich mit der Hand über seine kahle Stirn und sagte mit gepreßter Stimme: »Ja, es ist furchtbar traurig!« Er sagte dies zu sich selbst, hielt es sich gewaltsam vor und nötigte seine Augen, ein wenig feucht zu werden …
    Plötzlich geschah etwas, was Alle verstörte. Der kleine Johann geriet ins Lachen. Er war beim Schreiben auf einen Namen gestoßen,

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